Seit Donnerstag gilt in der Türkei ein 90-tägiger Ausnahmezustand, den Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ausgerufen hat. Ziel ist nach seinen Worten, gegen Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen. Erdogan macht Gülen für den Umsturzversuch aus den Reihen der Streitkräfte mit mehr als 260 Toten verantwortlich. Die Türkei fordert von den USA Gülens Auslieferung.
Zeitgleich erklärte Erdogan den 15. Juli zum «Gedenktag für Märtyrer». Es war der Tag des Putschversuches mit mehr als 260 Toten. Und er forderte: Das Volk solle sich weiterhin auf den Plätzen des Landes versammeln, bis das Land «diese schwere Phase vollständig hinter sich gelassen hat.»
Mehr als 10'410 Festnahmen
Seit dem gescheiterten Putsch soll nach Angaben der Regierung die Zahl der Festnahmen auf mehr als 10'000 gestiegen sein. Sowohl die Massenfestnahmen wie auch die Suspendierung zehntausender Staatsbedienstete haben international zu Rufen nach Verhältnismässigkeit geführt.
So zeigten sich etwa die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini und der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn besorgt über die Entwicklung im Nato-Land Türkei. In einer gemeinsamen Erklärung verlangten sie, dass die türkische Regierung unter allen Umständen die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten bewahren müsse.
Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon rief das Land zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Konstitutionelle Ordnung und die internationalen Menschenrechte müssten respektiert werden, forderte Ban in einer Mitteilung. Dazu gehörten unter anderem Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und die Unabhängigkeit des Rechts- und Gerichtswesens.
Die internationale Kritik abgewehrt
Der Sprecher der Regierungspartei AKP, Yasin Aktay, hielt entgengen, dass man die Kritik aus Europa zu diesem Thema nicht nachvollziehen könne. «In Frankreich und in Belgien gibt es zwei Fälle aus der jüngsten Vergangenheit, in denen jeweils nach Terrorangriffen zunächst für sechs Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und danach um sechs Monate verlängert wurde.»
Obwohl die Türkei unter mehr Angriffen gelitten habe, habe sie bislang nicht zu der Massnahme gegriffen, sagte Aktay nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. «Dass wir es in diesem Fall getan haben, sollte vielmehr gelobt werden.»
Statt Status Quo die Flucht nach vorn
An ein Ende der «Säuberungsaktionen» mag der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan offenbar nicht denken. Da er einen weiteren Putschversuch für möglich hält, will er das Militär rasch umbauen.
«Wir sind wachsamer.» Schon bald werde eine neue Struktur des Militärs umgesetzt. Das Militär müsse aus dem Putschversuch ernste Lehren ziehen, sagte er. «Wir können es uns nicht leisten, selbstzufrieden zu sein.»
Das Volk hinter sich scharen
Um seine Massnahmen so effektiv wie möglich zu gestalten, schart der Präsident nach Möglichkeit das Volk hinter sich. So rief er dazu auf, dass die von der Regierung als «Demokratie-Wachen» bezeichneten Versammlungen in den türkischen Städten fortgeführt werden.
Bereits am Donnerstagmorgen hatte Erdogan weiter in einer SMS an alle Bürger mit Handy geschrieben: «Mein liebes Volk, gib nicht den heroischen Widerstand auf, den Du für Dein Land, Deine Heimat und Deine Fahne gezeigt hast.»
Mein liebes Volk, gib nicht den heroischen Widerstand auf, den Du für Dein Land, Deine Heimat und Deine Fahne gezeigt hast.
Tausende Unterstützer der türkischen Regierung waren hernach dem Aufruf gefolgt. Sie marschierten vom Stadtteil Kisikli über eine der Bosporus-Brücken auf die europäische Seite der Stadt. Die Brücke musste am Abend für den Verkehr gesperrt werden.
Den Westen vorführen
Der Rundumschlag gegen Kritiker und Zweifler reicht weit. So kritisierte Erdogan die Herabstufung der Kreditwürdigkeit seines Landes durch die US-Ratingagentur Standard & Poor's als politisch motiviert. Die türkischen Finanzmärkte hätten keine Liquiditätsprobleme, sagte Erdogan. Der Finanzsektor sei sehr stark.
Erdogan warf S&P vor, sich auf die Seite der Putschisten geschlagen zu haben und nicht auf die der Demokratie. Sollte die Ratingagentur Moody's den Experten von S&P folgen, wäre das keine objektive Entscheidung, sagte Erdogan.
S&P hatte am Mittwoch angesichts der politischen Turbulenzen in der Türkei die Note für das Land um eine Stufe auf BB gesenkt. Zugleich stufte die Ratingagentur den Ausblick auf «negativ» von bislang «stabil» herab.