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Stimmzettel werden auf einen Tisch geleert.
Legende: Nach dem Auszählen: Die Reformer haben obsiegt, doch ob die Reformen auch durchgesetzt werden, bleibt fraglich. Keystone

International Nach den Wahlen: Ostukraine bleibt der grosse Streitpunkt

Zwar hat die Partei von Präsident Poroschenko bei der Parlamentswahl in der Ukraine gewonnen, aber schlechter abgeschnitten als erwartet. Dafür hat die Volksfront von Regierungschef Jazenjuk unerwartet grossen Zulauf erhalten. Vor allem das Thema Ostukraine dürfte zu Streit führen.

Im ukrainischen Fernsehen hiess es gestern Abend, der Wahlausgang bedeute, dass sich das Land nun unverrückbar Richtung Westen bewegen werde. Gleichzeitig zeige das Wählervotum, dass der Friedenskurs von Präsident Petro Poroschenko für den umkämpften Osten der Ukraine breite Unterstützung finde. Dies trifft aber kaum so zu.

Korruption wohl weiterhin Tatsache

Die reformorientierten Abgeordneten, die im neu gewählten Parlament nun gemeinsam eine Mehrheit stellen, wünschen sich zwar alle eine Annäherung an die EU und auch westlichen Wohlstand. Auf dem Weg dorthin aber müssten die Gewählten auch zu schmerzlichen Schritten bereit sein, zu einer wirksamen Korruptionsbekämpfung, von der sie zum Teil auch selbst getroffen werden könnten. Leider aber ist davon auszugehen, dass die Käuflichkeit auch im neuen ukrainischen Parlament um sich greifen wird.

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Streitpunkt Ostukraine

Vor allem aber auf dem Weg zu einer Friedenslösung für den umkämpften Osten des Landes dürfte es innerhalb des Reformflügels heftigeren Streit geben, glaubt SRF-Moskau-Korrespondent Peter Gysling. Denn Präsident Poroschenko und seine Gruppierung zeigen gegenüber den Separatisten – und auch gegenüber Russland – eine beachtliche Kompromissbereitschaft. Anders sieht es Kyryl Savin von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew. Savin glaubt nicht an einen Machtkampf der zwei Parteien, denn sie seien ideologisch beinahe identisch, ist er überzeugt.

Nicht kompromissbereit sind die andern reformorientierten Parteien. Vor allem Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk. mit seiner Volksfront will gegenüber Russland und den Separatisten gewissermassen aufs Ganze gehen, und wann immer möglich die besetzten Ostgebiete zurück erobern, ist Gysling überzeugt. Jazenjuk geisselt denn auch Teile des von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vermittelten Friedensplans.

Pro-russische Separatisten: Wahl ist Farce

Russland erkannte die Wahlen an. Die Führung in Kiew könne sich mit der Machtkonstellation nun «ernsthaft um die Lösung der Kernprobleme der Gesellschaft kümmern», sagte der russische Vize-Aussenminister Grigori Karassin der Agentur Interfax.

Die pro-russischen Separatisten in der umkämpften Ostukraine kritisierten die Wahlen vom Sonntag hingegen als «Farce». Die Wahl sei in einer «Atmosphäre der Verängstigung der Leute, in einer Kriegsatmosphäre» abgehalten worden, sagte der Separatistenführer Andrej Purgin in Donezk.

Vielerorts Wahlen verhindert

Peter Gysling

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Porträt von Peter Gysling.

Peter Gysling arbeitet seit 1980 als Journalist für SRF. Während des Mauerfalls war er Korrespondent in Deutschland. Von 1990 bis 2004 und erneut seit 2008 ist er Korrespondent in Moskau.

In weiten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk hatten die Aufständischen die Wahlen nicht zugelassen. 27 der 450 Sitze im Parlament bleiben unbesetzt, weil die Wahlkreise in den Rebellengebieten und auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim liegen. Die Separatisten wollen am Sonntag gegen den Protest Kiews eigene Wahlen in ihren selbst ernannten «Volksrepubliken» abhalten.

Die Reformer werden zwar versuchen, eine Koalition zu bilden, welche die rechtsradikalen und die extremen Nationalisten ausschliesst, trotzdem aber werden sie sich insbesondere beim Thema Ostukraine zerstreiten. Und dieser Streit dürfte sich auch auf den Reformkurs auswirken.

Bald neue Auseinandersetzungen?

Zudem: Das Parlament ist nach dieser Wahl längst nicht von sogenannten politischen Altlasten gesäubert, wie das die Reformer seit den politischen Umwälzungen vom Februar immer wieder gefordert hatten. Einige bisherige konservative Abgeordnete aus den unbesetzten ukrainischen Ostgebieten werden auch im neuen Parlament wieder – nun über Direktmandate – Platz finden, ist Gysling überzeugt.

Mit einem kompromissbereiten Kurs liessen sich diese Kräfte politisch geschickt einbinden und integrieren. Das wäre sinnvoll, wenn eine weitere Abspaltung des Ostens nicht weiter vorangetrieben werden soll. Wenn aber vor allem Kompromisslosigkeit um sich greifen sollte, so wird es auch im neugewählten ukrainischen Parlament bald wieder zu heftigsten Auseinandersetzungen kommen. Was das Land kaum wirklich weiter bringen wird – auch wenn nun die Reformer mehrheitlich obsiegt haben.

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