Bereits im vergangenen Jahr versuchte die EU-Kommission, die Mitgliedsländer von einem fixen Verteilmechanismus für die ankommenden Flüchtlinge zu überzeugen. Sie scheiterte damit auf der ganzen Linie.
Jetzt unternimmt sie einen neuen Anlauf. Dieses Mal hält sie sich aber bewusst zurück mit zu starren Vorschlägen. Sie hofft, damit auch widerborstige Staaten zu einem Kompromiss bewegen zu können.
Timmermans: Asylsystem muss geändert werden
Frans Timmermans, die rechte Hand von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, sagte es unumwunden: «Wir müssen das geltende Asylsystem ändern. Die Flüchtlingskrise hat es gezeigt, dass es nicht funktioniert.»
Gemeint ist das sogenannte Dublin-Abkommen. Dieses sieht vor, dass Flüchtlinge in jenem Land Asyl stellen müssen, in dem sie zum ersten Mal EU-Boden betreten haben. Die Folge dieser Regelung: Griechenland und Italien, zwei Staaten mit ohnehin schon schwachen Institutionen, tragen die Hauptlast, da praktisch alle Flüchtlinge bei ihnen EU-Land betreten.
In ihrer Not tun Griechenland und Italien das, was sie nicht dürften: Sie lassen die Flüchtlinge weiterziehen, nach Norden. Im Falle Griechenlands hat das den Zorn der Nachbarn entfacht, die mit dem Bau von Zäunen entlang der griechischen Grenze reagierten. Eine langfristige Lösung ist das nicht.
«Fairness-Mechanismus» oder direkte Verteilung
Deshalb versucht die EU-Kommission es erneut. Sie legt nun zwei Optionen vor: Die eine sieht vor, dass die Dublin-Regelung in Kraft bleibt. Übersteigen die Ankömmlinge eine noch auszuhandelnde Zahl, soll eine Art «Fairness-Mechanismus» greifen, bei dem ein Teil der Flüchtlinge auf die andern EU-Länder verteilt würde.
Die zweite Option sieht vor, dass Flüchtlinge – kaum in Europa angekommen – nach einem Schlüssel auf die Mitgliedsländer verteilt werden.
Zentralisierung «chancenlos»
Die EU-Kommission hätte gerne noch eine dritte Option eingebracht: Die Zentralisierung aller Asylgesuche und die zentrale Verteilung der Flüchtlinge. Das hätte den Vorteil, dass die Gesuche von allen Flüchtlingen nach gleichen Massstäben beurteilt werden. Nach den Worten von Timmermans ist dieser Vorschlag in der gegenwärtigen Situation politisch chancenlos.
Noch mehr Zentralisierung ist gegenwärtig ein Reizwort. Also versucht es die EU mit ganz vorsichtigen Schritten. Ihre Vorschläge formuliert sie bewusst sehr offen. Sie hofft damit, auch die widerborstigen Mitgliedsländer in Osteuropa zu einem konstruktiven Dialog bewegen zu können. Der soll dann, wenn alles gut geht, noch vor den Sommerferien zu einem verbindlichen Regelwerk für die Verteilung der Flüchtlinge führen.
Die Zeit drängt
Die EU-Kommission lanciert die Flüchtlingsfrage erneut, weil es ihr einerseits um eine Lösung des unwürdigen Schauspiels an ihrer Südgrenze geht. Sie will aber auch eine langfristige Lösung erreichen. Denn die Grenzzäune in ihrem Innern blockieren nicht nur Flüchtlinge. Auch EU-Bürger und der Warenfluss werden behindert.
Der freie Waren- und Personenverkehr gehören aber zu den Grundwerten der Union. Kann die Kommission diese nicht mehr verteidigen, sieht sie den Zusammenhalt der EU in Gefahr. Eine halbwegs vernünftige Lösung des Flüchtlingsproblems geniesst bei ihr deshalb oberste Priorität.