Die Lage ist ernst in Österreich, und sie könnte noch ernster werden, falls am 22. Mai der FPÖ-Mann Hofer Bundespräsident wird. Weil die Verfassung dem Präsidenten eine ungewohnte Machtfülle gibt, hätte Hofer die Möglichkeit aus Österreich «eine neue Republik» zu machen, wie der Publizist Armin Thurnher im Interview erläutert.
SRF News: Sind die Österreicher tatsächlich fremdenfeindlich?
Armin Thurnher: Aus den letzten Wahlergebnissen könnte man so etwas tatsächlich herauslesen. Auch die Schlagzeilen der in Österreich sehr mächtigen Boulevard-Zeitungen deuten darauf hin. Allerdings: Zwar hat in der ersten Runde der Bundespräsidenten-Wahl der Kandidat der sehr fremdenfeindlich argumentierenden FPÖ mit 35 Prozent einen sensationellen Zwischensieg eingefahren. Das Paradoxe ist aber, dass die Partei die höchste Zustimmung dort bekommt, wo es am wenigsten Flüchtlinge hat. Die Stimmung entspricht also nicht ganz der Lage.
Mit dem neuen Asylgesetz können die Grenzen für Flüchtlinge mit einem Schlag zugehen, das Asylrecht würde quasi verweigert. Wollen das die Österreicher?
Das glaube ich nicht. Es ist, was eine gewisse Richtung der politischen Mehrheit und die Boulevardpresse wollen. Die Regierung aus Roten (SPÖ) und Schwarzen (ÖVP) ist derart in der Defensive, dass sie diesem Druck nachgibt. Die Bevölkerung selber ist keineswegs derart fremdenfeindlich: Das hat der letzte Sommer gezeigt, als es eine unglaublich grosse Welle der Hilfsbereitschaft gab, Flüchtlinge aufzunehmen. Diese Hilfsbereitschaft gibt es nach wie vor: In vielen Tausend Gemeinden werden Flüchtlinge auf private Initiative hin betreut und versorgt. Es ist also nicht so, dass Österreich ein fremdenfeindliches Land ist.
Dann wird's wirklich spannend.
Jeder dritte Österreicher hat am Wochenende den Freiheitlichen Kandidaten gewählt. Sind sie alle Nationalisten?
Es ist tatsächlich ein Problem, dass es nicht gelungen ist, die EU als Teil der Staatsbürgerschaft zu verankern, in der Kanzler und Minister Organe der EU-Regierung sind. Diese Tatsache ist fremd geblieben. Die Politik spielt das übliche Doppelspiel, indem sie die Schuld für Versäumnisse Brüssel zuschiebt, hingegen sei für alles, was funktioniert, die nationale Regierung verantwortlich. So driftet alles immer weiter auseinander. Natürlich wäre es naiv zu sagen, die EU würde alles richtig machen. So ist unglaublich, dass es nicht gelingt, auch schon nur die minimale Quote von 160'000 Flüchtlingen auf die EU-Länder zu verteilen oder die Aussengrenzen zu schützen.
Einer, der offenbar vieles richtig macht, ist der freiheitliche Bundespräsidenten-Kandidat Norbert Hofer. Er wirkt adrett und höflich, inhaltlich steht er aber weit rechts. Lassen sich seine Wähler vom Äusseren täuschen oder wissen sie ganz genau, wen sie da wählen?
Einige lassen sich sicher täuschen. Viele wollten aber auch der Regierung einen Denkzettel erteilen. Man hat Hofer im Vorfeld der Wahl an die 30 Prozent zugetraut, nun wurden es sogar etwas mehr Stimmen. Grund ist sicher auch die Schwäche und Zerstrittenheit von SPÖ und ÖVP, das eröffnet einem Mann wie Hofer alle Möglichkeiten. Auch ist es so, dass die immer strengere Asylgesetzgebung und die Politik der Grenzschliessung als Mittel, die EU von innen heraus zu sprengen, der Regierung überhaupt nichts nützt. Der einzige Effekt ist, dass sich die Wähler sagen: «Wählen wir doch gleich jene Politiker, die das schon immer gesagt und gefordert haben – die Freiheitlichen».
Wenn jetzt einer mit autokratischen oder rechten Ambitionen kommt und das ausreizt, ist Österreich eine neue Republik.
Man wundert sich auch über die Reaktion der Regierungsparteien auf die Wahlniederlage, es gibt keine Selbstkritik und keine Konsequenzen. Ist der Denkzettel bei ihnen nicht angekommen?
Nein. Die glauben in der Tat, dass das Ergebnis nur eine Frage der schlechten Kommunikation ist. Es gibt ja auch Bereiche, in denen ihre Politik sehr gut funktioniert: So gibt es im Land keine sozialen Unruhen, keinen Notstand, das Pensionssystem funktioniert sehr gut, es droht keine Altersarmut, der Wirtschaft geht's nicht schlecht. Wenn aber so zentrale Fragen wie Europa, Asyl und die Flüchtlinge da sind, dann muss man dazu auch Flagge zeigen: In Wien wollte im letzten Jahr FPÖ-Chef Christian Strache Bürgermeister werden. Doch der amtierende Bürgermeister, der bei der Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge stark engagiert war, betonte, dass er den menschenrechtlichen Standpunkt vertrete und davon nicht abrücke – er gewann die Wahl.
Wenn FPÖ-Kandidat Hofer am 22. Mai Bundespräsident würde, könnte er die Regierung absetzen und eine neue einsetzen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Er hat gesagt, er würde die Regierung wegen ihrer Flüchtlingspolitik entlassen. Dazu gibt es inzwischen aber keinen Anlass mehr, denn die Regierung macht ja nun eh freiheitliche Flüchtlingspolitik. Die Regierung ihrerseits kündigte an, sie würde ihre Demission einreichen, die Hofer laut eigenen Aussagen nun aber nicht annehmen würde. Was wirklich geschehen würde, kann man derzeit nicht sagen. Klar ist: Das Amt und die Befugnisse des Bundespräsidenten stammen aus einer Zeit einer autoritären Verfassungsreform. Sie sieht die Möglichkeit vor, dass der Bundespräsident die Regierung entlassen kann. Er ist auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres und kann den Notstand verhängen. Er ernennt die Spitzenbeamten und die Richter. Er ist gemäss Verfassung also in einer sehr mächtigen Position, was bisher in der Regel aber nicht ausgereizt wurde. Wenn jetzt einer mit autokratischen oder rechten Ambitionen kommt und das ausreizt, ist Österreich eine neue Republik. Und eine Mehrheit, die Verfassung zu ändern, gibt es keine. Dann wird's wirklich spannend.
Das Interview führte Simone Fatzer.