«Er könnte jedes einzelne Stück seiner chemischen Waffen innert einer Woche der internationalen Gemeinschaft übergeben und eine vollständige Untersuchung erlauben.» Es waren diese Worte von US-Aussenminister John Kerry am 9. September, die den diplomatischen Bemühungen in der Syrien-Krise neuen Schwung verliehen.
Kerry wählte diese Worte als Antwort auf die Frage, wie Assad denn einen Militärschlag der USA gegen sein Land verhindern könnte. Was aber brachte den 70-jährigen Polit-Profi zu dieser Aussage? Ein Moment der Unbedachtheit oder politisches Kalkül?
Christof Franzen, SRF-Korrespondent in Moskau, hatte den Eindruck, dass das russische Aussenministerium spontan handelte. Dieses habe blitzschnell auf die Aussagen Kerrys nach einer «Gnadenfrist» reagiert und sei selber in die Offensive gegangen. Für diese These spreche auch die äusserst kurzfristig angesetzte Pressekonferenz vom russischen Aussenminister Sergej Lawrow am Montag, in der er Syriens Bereitschaft zur internationalen Waffenkontrolle erklärte.
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Andererseits habe Putins Sprecher auch von einem Gespräch Obamas mit Putin am G-20-Treffen in St. Petersburg berichtet, so Franzen. Thema: die internationale Kontrolle über Syriens Chemiewaffen. Insofern sei nicht bewiesen, dass das Vorgehen nicht abgesprochen gewesen sei.
«Abgekartetes Spiel»
UNO-Experte Andreas Zumach glaubt an ein «abgekartetes Spiel zwischen Moskau und Washington». Kerrys Aussage sei kein «Versprecher» gewesen, denn der US-Aussenminister sei ein «ausgebuffter Aussenpolitiker» und es scheine unglaubwürdig, dass gerade diesem Profi ein solcher Fehler passiert.
Zumach verweist auch auf die kurzfristig einberufene Pressekonferenz Lawrows nach Kerrys Aussage, bewertet sie wegen der Kurzfristigkeit aber als geplant. Zu diesem Zeitpunkt war auch der syrische Aussenminister in Moskau. Kein Zufall, bemerkt der UNO-Experte. Zudem sei Kerry bereits vor seinem «Versprecher» vom russischen Aussenminister über die syrische Bereitschaft zur internationalen Waffenkontrolle informiert worden. Das US-Aussenministerium hätte diese Information bereits bestätigt, sagt Zumach.
Gut für Moskau – gut für Washington
Moskau und Washington sei mit dieser Lösung geholfen. Obama hatte wenig Unterstützung für seine Kriegspläne im Kongress und der Bevölkerung, insofern sei ihm mit dieser Lösung aus einer «Sackgasse» geholfen worden. «Und Russland kann erstmals seit vielen Jahren eine konstruktive Rolle auf dem internationalen Parkett spielen.»
Dem «geschickten Spiel» zugrunde liege das gemeinsame Interesse der Grossmächte in Syrien, so Zumach. Denn: «Beide wollen verhindern, dass das Assad-Regime ersatzlos verschwindet und Teile Syriens in die Hände von islamistischen Terroristen fällt.» Angesichts vermuteter 1000 Tonnen einsatzfähiger Chemiewaffen in Syrien, wäre dies ein «Alptraum» für Washington und Moskau. Priorität habe deshalb für beide Seiten die Vernichtung und Ausserlandesbringung der C-Waffen.
Arthur Honegger, SRF-Korrespondent in Washington, hat Zweifel an eben jenem «geschickten Spiel» zwischen Moskau und Washington. Er halte die Aussagen Kerrys eher für «daher gesagt». Zudem habe Kerry in den Wochen davor «nichts in diese Richtung geäussert». Honegger bewertet Kerrys Worte deshalb eher als «hypothetisches Gedankenspiel». Denn die ursprüngliche Idee des US-Aussenministers, Assad solle innert einer Woche sämtliche Chemiewaffen aushändigen, sei schlicht nicht umsetzbar, so Honegger
Ob geplantes Manöver oder beiläufiger Satz, Kerrys Worte mündeten in einer neuen Verhandlungsrunde zwischen Moskau und Washington in Genf. Beide Seiten werden an einer Formulierung für eine gemeinsame UNO-Sicherheitsresolution feilen, sagt Zumach. Franzen dämpft bereits im Vorfeld die Erwartungen: «Wunder sind von russischer Seite nicht zu erwarten.» Auch Honegger glaubt, dass Kerry in Genf «den Russen eher auf den Zahn fühlen soll». Nach seinen Informationen sei der Vorschlag Russlands, statt einer Resolution eine «präsidiale Erklärung» zu verabschieden, in Washington auf taube Ohren gestossen. So eine Erklärung ist im UNO-Jargon laut dem SRF-Korrespondenten wenig mehr als eine Pressemitteilung.