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International «Pegida»: Deutschlands neuer Leuchtturm der Unzufriedenen

Selbsternannte «Patrioten» fluten lautstark die Strassen deutscher Städte. Von Woche zu Woche werden es mehr. Die neue Bewegung sammelt Rechtsextreme bis hin zu besonnenen Bürgern – ganz ähnlich wie Ecopop in der Schweiz. Experten sagen: Die unheimlichen Patrioten werden von Angst getrieben.

Die etablierten Parteien in Deutschland verharren in Schockstarre: Da kommt ein Koch und Ex-Sträfling aus Dresden und wird in atemberaubender Geschwindigkeit zur Identifikationsfigur einer brisanten Bürgerbewegung namens «Pegida». Die «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» sehen sich als moderne Kreuzritter gegen eine vermeintliche Bedrohung durch den Islam.

Sie haben Zulauf von Rechtsextremen und dumpfen Wutbürgern - aber auch von gemässigten Zeitgenossen. Was vor ein paar Wochen als Marsch von ein paar hundert Leuten begann, ist zum Grossanlass mit mehr als 10'000 Teilnehmenden geworden.

15'000 auf der Strasse

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Trotz Kritik verzeichnet «Pegida» weiter Zulauf. Nach Angaben der Polizei folgten am Montagabend in Dresden rund 15'000 Menschen dem Demonstrationsaufruf. Es war die neunte und bisher grösste «Pegida»-Demonstration in Folge. An Gegenkundgebungen beteiligten sich laut Polizei mehr als 5600 Menschen.

Merkel: «Kein Platz für Hetze»

Die Koalitionsregierung in Berlin geisselt die unheimlichen Patrioten mit mehr oder weniger Verve.

So spricht sich der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maiziere dagegen aus, die Demonstranten pauschal als rechtsextrem einzustufen. Seine Kanzlerin dagegen hebt dezidiert den Zeigefinger. «In Deutschland gibt es zwar die Demonstrationsfreiheit. Aber es ist kein Platz für Hetze und Verleumdung», mahnte Angela Merkel in Berlin.

Differenzierter tönt das Urteil von Experten. Sie sperren sich gegen eine politische Verortung und sehen fundamentalere Kräfte hinter dem empörten Aufkochen der Bürgerseele.

«Islamisierung als Platzhalter»

Das Aussergewöhnliche der neuen Bewegung ist ihre einzigartig breite Trägerschaft. So sieht es Eva-Maria Gros. Sie ist als Soziologin und Kriminologin spezialisiert auf politische Bewegungen und forscht am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

«Erstmals haben wir es mit einer grösseren Bewegung zu tun, in der sich sowohl die Rechte als auch die besonnene Bürgermitte finden und zusammen auf die Strasse gehen.» Auffallend sind Parallelen zur Schweiz: Auch die Befürworter der Ecopop-Initiative entstammten ganz unterschiedlichen Gruppierungen. Was sie einte, waren ihre diffusen Ängste.

Eine Menschenmenge in der Nacht. Die Leute halten ihre Handys hoch. Im Bildmittelgrund hält ein Pegida-Demonstrant in Dresden ein mannshohes Kreuz in den Landesfarben in die Höhe.
Legende: Eine Bewegung – viele Ängste. «Pegida» bietet für viele verunsicherte Menschen Anknüpfungspunkte. Reuters

Die Kriminologin Gross sieht den Begriff «Islamisierung» im Programm von Pegida als Platzhalter für tiefste Verunsicherungen breiter Kreise im Volk. «Islam ist eine Chiffre für unterschiedliche Bedrohungsängste», wie sich die Forscherin ausdrückt. Auch hier werden Parallelen zur Schweizer Ecopop-Bewegung sichtbar.

«Die Menschen fürchten sich vor Statusverlust, vor Überfremdung. Sie sind enttäuscht von der Globalisierung im Allgemeinen und von der Wende im Speziellen», sagt Gross. Sie lassen sich vom Gang der Moderne zutiefst verunsichern. Von der offenen Einwanderungspolitik. Von der scheinbaren Erosion der inneren Sicherheit. Und durch die Zunahme politischen Extremismus auch vom Terror des Islamischen Staates (IS), der überall auf der Welt aufflackert.

Pegida

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Portrait von Lutz Bachmann
Legende: JF-TV

Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Deutsche Bürgerbewegung vom Oktober 2014, die sich gegen den Islamismus ausspricht und auf eine aus ihrer Sicht verfehlte Einwanderungs- und Asylpolitik aufmerksam macht. Ihr Kopf heisst Lutz Bachmann.

Bewegung nicht verteufeln, sondern verstehen

Die Pediga schiesst sich als Sprachrohr verängstigter Bürger auf solche ein, denen es noch schlechter geht. «Wer Asylanten diskreditiert, kann damit seine eigene Identität stabilisieren,» sagt Forscherin Gross. Dies entspricht auch den Einschätzungen von SRF-Korrespondent Casper Selg in Deutschland. Er glaubt aber, dass der breite Zulauf von Menschen unterschiedlichster Couleur die neue Volksbewegung auch destabilisieren könnte.

«Wenn ich mir die Töne auf der Strasse anhöre, dann glaube ich nicht, dass die Besonnenen lange in dieser Bewegung bleiben werden.» Er befürchtet, dass auch die Bereitschaft zur Gewalt zunehmen könnte. «Das, was man da hört, klingt schon sehr martialisch.»

Für die Konfliktforscherin Gross hängt die Entwicklung des Gewaltpotentials wesentlich davon ab, wie die etablierte Politik auf die Forderung der Bewegung reagiert.

Der Hass weckt Widerstand

Die Entwicklungen in Deutschland nach der Wende haben es laut Gross verhindert, dass sich im vereinigten Land eine starke, kollektive Identität ausgebildet hat. Denn viele Deutsche sehen sich nicht als Gewinner, sondern als Verlierer der grössten europäischen Wirtschaftsmacht. «Entscheidend ist, dass die Mehrheitsgesellschaft die Ängste dieser Menschen auch ernst nimmt.» Und dass man sich darüber einig ist, innerhalb welcher Normen sich Menschen politisch ausdrücken dürfen. Denn aus diffusem Frust kann rasch rasende Wut werden.

Für die Konfliktforscherin Gross hängt die Entwicklung des Gewaltpotentials wesentlich davon ab, wie die etablierte Politik auf die Forderung der Bewegung reagiert.

Die alternative «AfD» sieht sich als Gewinnerin

Wohin es die neuen «Angstbüger» ( Def.«Spiegel» ) auch ziehen wird, schon jetzt ist auf der politischen Bühne ein möglicher Gewinner auszumachen. Es ist die neue deutsche Rechtsaussenpartei «Alternative für Deutschland» AfD.

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Deren Vorsitzende Frauke Petri wirft sich in einer Reportage des Verlags «Junge Freiheit» für die Demonstranten in die Bresche.

Sie will ihren Mitgliedern nicht vorschreiben, ob sie an den Montagsmärschen teilnehmen dürfen oder nicht. SRF-Korrespondent Selg bringt es humorvoll auf den Punkt: «Die eine Hälfte der AfD unterstützt die Bewegung. Die andere Hälfte ist offen dafür.»

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