Mit viel Pomp und Gloria hat die Regierung von Cristina Kirchner in Buenos Aires den dreissigsten Jahrestag der Überwindung der Militärdiktatur in Argentinien gefeiert. 1600 Gäste waren zum Galadinner in den Regierungssitz eingeladen. Davor, auf der Plaza de Mayo, gab es ein Volksfest mit Show, Musik und Bier.
Das glanzvolle Fest kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der soziale Frieden in den argentinischen Provinzen an einem seidenen Faden hängt. Viele Provinzen stecken tief im Chaos, weil es wegen Polizeistreiks zu Plünderungen kommt. In den vergangenen Tagen gabe es neun Tote, dutzende Menschen wurden verletzt.
Plünderungen bei Polizeistreik
Losgegangen waren die Unruhen vor einer Woche in Córdoba in Zentralargentinien. Dort hatte die Polizei den Dienst verweigert und massiv höhere Löhne gefordert. Ohne die Polizei auf den Strassen kam es sofort zu Plünderungen. Läden wurden ausgeraubt und zerstört.
Die Landesregierung liess den Gouverneur der Provinz Cordoba aber hängen und verweigerte zunächst die beantragte Entsendung von Einheiten der Grenzpolizei. Dem Gouverneur bleib deshalb nichts anderes übrig, als sich auf die Erpressung der Polizei einzulassen und die Monatslöhne auf umgerechnet etwa 2000 Franken zu verdreifachen.
Nun quittierten die Polizisten in fast ganz Argentinien den Dienst. Überall breiteten sich Plünderungen und Vandalenakte aus. 7 der 24 argentinischen Provinzen haben sich mit der Polizei inzwischen auf höhere Bezüge geeinigt. In 10 gehen die Streiks weiter – die Unruhen auch.
Krise wegen Infaltion
Wenn es darum geht, Unbequemes auszublenden sind Kirchner und ihre Mannschaft fast nicht zu überbieten. An der Feier von letzter Nacht lässt der Kabinettschef verlauten, die Streiks und Plünderungen seien von Kirchners politischen Gegnern ferngesteuert, um die Präsidentin auszuhebeln und sie womöglich gar zu stürzen.
Das ist blanker Unsinn, denn die Krise hat eine handfeste Ursache: Die Jahresteuerung von 25 Prozent. Die Kirchner-Regierung, die immer knapp bei Kasse ist, lässt im grossen Stil Geld drucken und heizt damit die Teuerung an.
Regierung verzögert Zahlungen
Ausserdem ist die Zentralregierung mit der Überweisung von Staatseinnahmen an die Provinzen im Verzug – ganz besonders dort, wo die Provinzregierungen von politischen Gegnern der Präsidentin geführt werden – wie in Córdoba. Deshalb konnten die Polizeilöhne dort nicht der Teuerung angepasst werden. Die Inflation höhlte die Kaufkraft dieser Gehälter förmlich aus. In den ärmsten Provinzen sind die Monatseinkommen der Beamten bis auf umgerechnet 300 Franken gesunken.
Dieser Zersetzungsprozess führt dazu, dass sich immer mehr Polizeibeamte von Drogenhändlern aushalten lassen und ins organisierte Verbrechen einsteigen. Argentinien ist längst eines der wichtigsten Durchgangsländer für Kokain auf dem Weg nach Europa.
Der Kirchnerismus vor dem Ende
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Bild 1 von 9. Die Anfänge: In den unruhigen 1970er Jahren kämpfen Nestor Kirchner und Cristina Fernández, die ihren Mann stets «Kirchner» nannte, in der linkspopulistischen Peronistischen Jugend gegen die Militärregierung (1976 bis 1983). Nach ihrer Heirat 1975 eröffnen sie in der Provinzhauptstadt von Santa Cruz ein Anwaltsbüro. Der politische Aufstieg beginnt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 9. Argentinien schlittert 2001 in eine tiefe Notlage. Anleihen von 80 Mrd. Dollar können nicht mehr bedient werden. Auf dem Höhepunkt der Krise wechseln sich fünf Präsidenten in nur zehn Tagen ab. Ein drastisches Sparprogramm seines Vorgängers bringt Nestor Kirchner nach seiner Wahl 2003 so richtig in Fahrt und Argentinien wieder auf Kurs. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 9. Mit Kirchner kommt die Hoffnung – auf Kosten der internationalen Kreditwürdigkeit des Landes. Den Peso belässt er stark unterbewertet, um Exporte zu stärken. 2005 setzt er einen grossen Forderungsverzicht durch. Gläubiger, die in das argentinische Angebot einwilligen, verlieren beim Umtausch in neue Bonds mehr als die Hälfte ihrer Anleih-Werte. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 9. Kritiker monieren oft den «königlichen» Regierungsstil Kirchners. Nestor, aufgrund seiner Herkunft «Pinguino» genannt, regiert oft am Parlament vorbei – abzulesen an der Zahl der von ihm erlassenen Dekrete. Andererseits überrascht er nach seiner Wahl die Öffentlichkeit mit einer Aufhebung der Amnestiegesetze gegen Vertreter der Militärdiktatur. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 9. Nestor Kirchner kandidiert 2006 trotz Beliebtheitsraten von über 60 Prozent nicht noch einmal. Nun wird eine Kandidatur seiner Ehefrau Cristina für die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2007 erwartet. Medien spekulieren, dass Nestor unpopuläre Schritte zur Sanierung der Staatsfinanzen bei seiner Frau abladen will, um dann 2011 erneut anzutreten. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 9. Cristina gewinnt die Wahl 2007 und setzt den Kurs ihres Ehemannes fort. Auch sie investiert die steigenden Einnahmen durch den Rohstoffexport zum Teil in Sozialprogramme. Sie revidiert viele Privatisierungen, um die «nationale Souveränität über die Wirtschaft wiederzuerlangen». Rentenversicherung, Fluglinie und Ölfelder werden verstaatlicht. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 9. Die Wirtschaft schwächelt, die Inflation steigt rasant. Die Präsidentin verliert ihre Gefolgschaft. Am 27. Oktober 2010 stirbt Néstor Kirchner an Herzversagen. In der Folge wächst die Popularität Cristinas wieder stark an. Sie hat mit erbittertem Widerstand zu kämpfen. Bürgertum und Industrie werfen ihr Populismus und Eigennutz vor. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 9. Im Oktober 2011 wird Kirchner im Amt bestätigt. In der Folge verschärft sie Devisenkontrollen und protektionistische Massnahmen gegen Importe. Die Welthandelsorganisation kritisiert Argentinien scharf. Im Februar 2012 kommt es zum diplomatischen Konflikt mit Grossbritannien um die Frage der Falklandinseln. Persönlich kämpft sie gegen den Krebs. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 9. Oktober 2013: Die Wirtschaftspolitik der Kirchners hält eine Mehrheit der Argentinier inzwischen für missglückt. Das Land leidet unter einer enormen Inflation. Die Regierung hat den Kauf von US-Dollars beschränkt – zeitgleich verliert der Peso an Kaufkraft. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag droht Cristina Kirchner eine schwere Schlappe. Bildquelle: Reuters.