Die Ukraine-Krise hat Russland nicht gut getan. Vom Westen mit Sanktionen belegt ist das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise gerutscht. Und politisch ist es seit über einem Jahr ziemlich isoliert. Das sind keine guten Aussichten für ein so grosses Land mit so grossen Ambitionen. Im Kreml ist deswegen offenbar die Einsicht gereift, dass sich etwas ändern muss.
Das bestätigt Irina Kobrinskaja, Expertin für Aussenpolitik bei der Russischen Akademie der Wissenschaften: «Russland will nicht, ja es kann nicht in dieser Situation bleiben, in die es wegen der Sanktionen gerutscht ist.» Die Schieflage habe vor allem damit zu tun, dass die Wirtschaft in einem sehr schlechten Zustand sei, diagnostiziert sie.
Der russische Riese ist angezählt
Vor allem die Finanzsanktionen haben Russland zugesetzt, aber auch das westliche Verbot, Hochtechnologien für den Gas- und Ölsektor nach Russland zu verkaufen. Beide Faktoren entwickeln jetzt langsam ihre Wirkung und können nicht von anderen Partnern wie zum Beispiel China kompensiert werden. Deswegen, so Expertin Kobrinskaja, bemühe sich Russland jetzt darum, die Beziehungen zum Westen zu normalisieren.
Ganz ähnlich sieht das der Historiker Andrej Subov, ein kritischer Beobachter der Kreml-Politik. Putin habe ohne Zweifel den Wunsch, Russland aus der Isolation zu führen, erklärt er: «Das Ziel ist, dass der Westen die Sanktionen aufhebt, denn diese ziehen die russische Wirtschaft nach unten und schaden auch solchen Geschäftsleuten, die sich in Putins engstem Umfeld bewegen.»
Beide Experten sind sich dabei einig: Zwischen der Krise in der Ukraine und dem Krieg in Syrien gibt es einen Zusammenhang. Russland hat sich in den letzten Wochen noch einmal deutlich hinter den syrischen Präsidenten Assad gestellt. Russische Soldaten, Kampflugzeuge und Panzer wurden in die Mittelmeerstadt Latakia verlegt. Sie sollen dort den militärisch in Bedrängnis geratenen Assad stützen.
Kompromisslösung in der Ukraine?
Gleichzeitig hat sich die Lage in der Ukraine beruhigt. Die prorussischen Separatisten und die ukrainische Armee halten sich weitgehend an den Waffenstillstand. Am kommenden Freitag soll zudem ein nächster diplomatischer Versuch unternommen werden, die Krise beizulegen. Putin trifft sich dann in Paris mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko, dem französischen Staatschef Hollande und der deutschen Kanzlerin Merkel.
Expertin Kobrinskaja glaubt, Putin könnte Hand reichen zu einem Kompromiss in der Ukraine: «Man kann sagen, dass Russland einen neuen Modus vivendi sucht. Dabei sollen die ukrainischen Grenzen respektiert werden.» Den Separatisten-Gebieten könnte dabei eine Art Souveränität innerhalb der Ukraine zugesprochen werden. Wie das genau aussehen soll, ist aber noch unklar. Es stehen zähe Verhandlungen bevor.
Kampf gegen IS als Faustpfand
Historiker Subov ist denn auch skeptisch. Er glaubt nicht, dass Putin die Ukraine-Krise im Sinne des Westens lösen möchte: «Das heisst, die Krim wird Putin behalten wollen. Und die Separatistengebiete im Donbass sollen ein permanenter Stachel bleiben im Fleisch der Ukraine, der das Land daran hindert, eine wirklich unabhängige Politik zu machen.»
Russlands Engagement in Syrien wiederum, so Subov, könnte den Westen dazu verleiten, auf diesen russischen Plan einzusteigen: «Putin denkt, dass der Westen seine Forderungen in der Ukraine abschwächt, wenn er zusammen mit Russland in Syrien gegen die Terrormiliz IS kämpft.»
Eine Hand wäscht die andere
Für die Aussenpolitik-Expertin Kobrinskaja kommt noch ein weiterer Faktor dazu. Nicht nur Putin sei wegen der wirtschaftlichen Krise in Russland gezwungen, vermehrt zu kooperieren. Auch der Westen sei in einer Notlage – wegen der Flüchtlingskrise. Das habe Amerikaner und Europäer dazu bewogen, «breiter zu denken». Will heissen: im Nahen Osten auch auf eine Zusammenarbeit mit Russland zu setzen.
Tatsächlich hat Kanzlerin Angela Merkel bereits erklärt, man müsse im Syrien-Konflikt auch mit Russlands Verbündetem Assad sprechen. Vize-Kanzler Sigmar Gabriel brachte sogar ein Ende der Sanktionen gegen Russland ins Spiel. Der Konflikt um die Ukraine, sagte er, könne das Verhältnis zu Russland nicht so stark belasten, dass Russland als Partner in Syrien ausfalle. Eine Aussage, die in Deutschland viel zu reden gab, und die Gabriel inzwischen auch relativierte.
Dennoch ist klar, dass etwas in Bewegung gekommen ist zwischen Russland und dem Westen. Man braucht sich gegenseitig, in der Ukraine und in Syrien. Und am Ende könnte das stehen, worauf Präsident Putin hinarbeitet: Die Rückkehr Russlands auf die Weltbühne als wichtiger, mächtiger Akteur.