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International «Ruanda ist ein Land unter einem Duromatic-Deckel»

Journalist Peter Baumgartner hat den Genozid vor 20 Jahren mit eigenen Augen erlebt. Im «Tagesgespräch» von Radio SRF analysiert er die aktuelle Lage in Ruanda.

Ein Friedhof in Ruanda.
Legende: «Kann man jemandem vergeben, der seine Liebsten umgebracht haben? Ich zweifle daran» Keystone

Ruanda trauert: Vor genau 20 Jahren nahm in dem ostafrikanischen Land eines der schlimmsten Verbrechen aller Zeiten seinen Anfang. Hutu-Milizen begannen am 7. April 1994 ihre Jagd auf Tutsi und moderate Hutu. In nur 100 Tagen wurden mehr als 800'000 Menschen auf brutalste Weise getötet.

«Spannung noch immer spürbar»

Peter Baumgartner berichtete zu jener Zeit als Journalist für den «Tages-Anzeiger» aus Ruanda. Heute reist er wegen den Gräueltaten vor 20 Jahren nicht mehr gerne ins ostafrikanische Land. Ruanda sei ein Land, dass wie unter einem Duromatic-Deckel stehe, analysiert Baumgartner. «Die Spannung unter den Leuten ist immer noch unterschwellig spürbar.»

Der Journalist kann sich nur zu gut an die toten Menschen auf den Strassen und die brennenden Häuser vor 20 Jahren erinnern. «Die Brutalität konnte ich damals nicht einordnen. Kinder wurden getötet und Frauen vergewaltigt und ermordet.» Laut Baumgartner versagte die internationale Gemeinschaft in Ruanda völlig. «Man war einfach wütend, dass die UNO die Blauhelme zurückzog, dass die Franzosen ihre eigene Suppe kochten und dass die anderen einfach zuschauten.» Baumgartner sieht Parallelen zu heutigen Problemen in der Zentralafrikanischen Republik oder in Südsudan.

Völkermord wirkt nach

Der Genozid von 1994 präge die Region bis heute. «Die heutigen Konflikte, die wir haben im Gebiet der grossen Seen, im Ostkongo, in Ruanda und Burundi und auch in Uganda, das sind alles Nachwirkungen von diesem unglaublichen Völkermord in Ruanda.»

Die Ereignisse vor 20 Jahren könnten die Menschen in Ruanda nie vergessen. «Kann man jemandem vergeben, der seine Liebsten umgebracht haben? Ich zweifle daran», sagt Baumgartner. Die Leute hätten einfach keine andere Chance als Vergebung. Sie seien gezwungen, mit der Situation fertig zu werden.

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Der Journalist blickt trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs des kleinen afrikanischen Landes sorgenvoll in die Zukunft. «Wenn die soziale Gerechtigkeit in Ruanda besser würde, könnten die Vorbehalte gegen die herrschende Klasse abgebaut werden.» Weil aber die herrschende Klasse ihren Reichtum offen zeige, werde es schwierig.

«Es gibt böses Blut, weil heute nur einflussreiche Tutsi das Sagen haben. Über kurz oder lang wird das zum Problem. Da müssen wir uns keine falschen Vorstellungen machen.»

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