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International Russland hinkt bei Industrialisierung hinterher

Mit aller Kraft versucht sich die russische Regierung gegen den jüngsten Zerfall des Rubels zu stemmen. Unter anderem der sinkende Ölpreis und die westlichen Sanktionen setzen Russlands Wirtschaft derzeit zu. Doch das Problem liegt tiefer.

Brigitte Zingg

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Porträt Brigitte Zingg

Brigitte Zingg ist seit 2004 Auslandredaktorin bei SRF mit dem Spezialgebiet Russland, GUS, Zentralasien, Ukraine und Baltikum. Von 2000 bis 2004 war sie Produzentin im Echo der Zeit. Zuvor war sie Redaktorin bei verschiedenen Printmedien. Neu ist sie bei der SRF-Auslandredaktion auch für Skandinavien zuständig.

SRF: Das Finanzministerium greift auf seine Währungsreserven zurück, um den Rubel zu stützen. Woran krankt Russland?

SRF-Auslandredaktorin Brigitte Zingg: Die russische Wirtschaft leidet unter der Rohstoffkrankheit. Russland hat seine Wirtschaft zu lange und zu einseitig nur auf Rohstoffe gestützt. Vor allem auf Exporte von Öl und Gas und allenfalls noch Aluminium. Das bringt zwar Devisen und sorgt für Wirtschaftswachstum, aber eben nur dann, wenn der Ölpreis hoch ist.

Wenn der Preis absackt, wie das jetzt geschehen ist, sieht man plötzlich, dass die russische Wirtschaft kein anderes Standbein mehr hat. In den letzten 20 Jahren hat Russland seine Industriepolitik nicht weiterentwickelt – ausser es ging um staatliche Monopolbetriebe wie Rosneft und Gazprom. Aber auch die schreiben jetzt rote Zahlen.

In welchen Branchen hätte Russland denn das Potential für eine wirtschaftliche Entwicklung?

Allen voran im Energiesektor. Russland hat so riesige Öl- und Gasvorkommen, dass es weit mehr könnte, als diese Rohstoffe einfach zu exportieren. Man könnte in die Forschung im Bereich der neuen Fördertechnologien für Flüssig- oder Schiefergas investieren. Aber genau das hat Russland verschlafen. Eine erste solche Fabrik entstand erst Ende der Neunzigerjahre auf der Insel Sachalin. Und es ist bisher auch die einzige geblieben.

Man könnte in bessere Transportmöglichkeiten investieren, in die Infrastruktur für Gas- oder Öltransporte. Da ist der Bedarf gelinde gesagt gigantisch, weil die Infrastruktur immer noch grösstenteils veraltet ist.

Wenn modernisiert wurde, dann geschah das bisher meistens mit ausländischen Investoren und mit ausländischen Technologien, da gibt es in Russland nichts Vergleichbares. Und obschon die Sowjetunion lange mithalten konnte, was Forschung angeht, gilt heute, dass auf diesem Gebiet zu wenig geht.

Der Druck auf die russische Wirtschaft ist im Moment enorm. Die Regierung handelt kurzfristig. Aber findet auch ein längerfristiges Umdenken statt?

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Es ist zu hoffen, dass ein Umdenken stattfindet. Das wäre gut für die Fachleute, die in Russland bleiben, die dort investieren und nicht auswandern wollen. Russische Ökonomen reden zwar schon lange darüber. Diese Woche wies sogar das Wirtschaftsministerium in aller Offenheit darauf hin und sagte, man müsse Russland wieder seriös industrialisieren und auch in das verarbeitende Gewerbe investieren. Wie ernsthaft solche Aussagen sind, wird sich bald zeigen: Am Donnerstag hält Präsident Wladimir Putin seine alljährliche Fernsehansprache.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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