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International Türken wählen im Berliner Olympiastadion

In zehn Tagen wählt die Türkei ihren neuen Staatspräsidenten. Zum ersten Mal gibt es eine Volkswahl und zum ersten Mal dürfen Türken im Ausland an ihren Wohnorten wählen. Zum Beispiel im sechstgrössten türkischen Wahlbezirk, in Berlin.

Das türkische Wahllokal in Berlin findet man schnell, es ist unübersehbar. Es ist das Berliner Olympiastadion. Die monumentale Sportstätte, die Adolf Hitler für die Olympischen Spiele 1936 errichten liess, hat erst zur Jahrtausendwende, nach einer Modernisierung, einen Teil ihrer martialischen Anmutung verloren.

An und über diesem riesigen Fussballstadion wehen türkische Fahnen. Draussen an den Kassenhäuschen stehen schon um 8 Uhr morgens einige Dutzend Berliner Türkinnen und Türken Schlange und warten geduldig auf Einlass.

Besonders grosses Wahllokal in Berlin nötig

Wieso ausgerechnet das Olympiastadion? Der türkische Generalkonsul Ahmed Basar Sen steht stolz und strahlend in einer VIP-Loge vor dem leeren Rund des Stadions und antwortet: «Keine Symbolik.» Der Ort habe rein praktische Gründe. «Weil wir auf der Liste 140'000 Wähler haben, mussten wir so ein grosses Wahllokal vorbereiten.»

Türken an der Urne

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Erstmals können rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland ihre Stimme für die türkische Präsidentschaftswahl abgeben. Wahllokale gibt es in sieben Städten, darunter auch im Berliner Olympiastadion. Bis Sonntag können sie dort abstimmen. Weitere Wahllokale gibt es in Hannover, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, München und Karlsruhe.

Nur hier habe man genügend Platz, Parkplätze und Infrastruktur. Die Menschen in der Warteschlange vor dem Stadion kümmert der Ort wenig. Sie plaudern, vertreiben sich die Zeit. Sie reden über die Wahl, über die Kandidaten, und über den derzeitigen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der neues Staatsoberhaupt werden will.

Ein zirka 50-Jähriger sagt, für ihn sei völlig klar, wen er wählen werde: «Erdogan!» Eine Frau mit Kopftuch, etwas weiter hinten in der Schlange, verweist scheu auf ihren Mann. Und auch für diesen Mittvierziger ist klar: «Erdogan. Er ist der Beste.»

Kurde wählt den kurdischen Kandidaten

Ein Jüngerer sieht das anders. «Wir sind Kurden. Und wir wählen einen kurdischen Kandidaten.» Und auch eine Frau ganz vorne in der Schlange wird definitiv nicht für Erdogan stimmen. Der habe nämlich nur eines getan, meint sie. «Gelogen und betrogen, das ganze Land verkauft. Und alles zu seinen Gunsten!»

Dann ist es plötzlich nicht mehr so ruhig vor dem Kassenhäuschen. Jetzt, da sich einige offenbart haben, diskutiert man heftig. Nach einigem Warten dürfen die vordersten Leute durch. Sie haben schon ein ziemlich kompliziertes Anmeldeverfahren im Internet hinter sich und müssen sich nun an der Kasse ausweisen.

Vereinzelt Angst vor allfälligem Wahlbetrug

Dann können sie um das halbe Stadion herumgehen, zu den VIP-Logen. Dort stehen die Urnen, die am Sonntag verschlossen in die Türkei verschickt und erst dort ausgezählt werden. Schon das macht die Frau vorne in der Reihe misstrauisch.

Bevor sie am Kassenhäuschen angekommen ist und durchgewinkt wird, meldet sie Bedenken am Verfahren an: «Da habe ich meine Zweifel, denn die letzten Wahlen waren auch nicht demokratisch. Das sah nur so aus. Hinterher hat man gemerkt, dass die Wahlkisten alle schon vorher von Erdogan gestempelt waren.»

Grosse Anzahl Türken in Deutschland

Es bestehe keine Gefahr, beruhigt Generalkonsul Sen. Das Verfahren sei bestens abgesichert. «Während des ganzen Prozederes werden auch Vertreter der drei grossen türkischen Parteien dabei sein.» Dadurch werde die Kontrolle sichergestellt.

Bis am Sonntag können die Berliner Türkinnen und Türken hier wählen. Eine Woche später wird dann in ihrer Heimat ein neuer Präsident gewählt. Die Stimmen der 1,4 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland sind von erheblicher Bedeutung für die türkische Wahl.

Das zeigte etwa ein Auftritt des aussichtsreichsten Kandidaten – von Ministerpräsident Erdogan. Ende Mai hielt er in Köln eine viel beachtete Brandrede.

Eigentlich war es ein klassischer Wahlkampf-Auftritt, aber deklariert wurde es lediglich als Rede des Ministerpräsidenten. Denn offiziell dürfen die türkischen Parteien im Ausland keinen Wahlkampf betreiben.

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