Auf den ukrainischen Übergangsregierungschef¨Arseni Jazenjuk kommt eine schwierige Aufgabe zu: Zum einen muss der 39-Jährige das wirtschaftlich marode Land vor dem Staatsbankrott bewahren. Zum anderen muss er die nach den blutigen Protesten tief gespaltene Bevölkerung Ende Mai zu Neuwahlen führen.
Als erfahrener Ökonom ist er gut gerüstet, um die Verhandlungen über internationale Finanzhilfen zu führen. Ob er aber auch den nötigen Rückhalt hat, um das Land aus der politischen Krise zu führen, ist offen.
Geboren am 22. Mai 1974 als Sohn einer Professorenfamilie im Czernowitz im äussersten Westen der Ukraine, begann der frühere Anwalt und Banker Jazenjuk seine politische Karriere 2001 als Wirtschaftsminister der autonomen Halbinsel Krim.
Im Schatten von Timoschenko
Nach der Orangenen Revolution 2004 wurde er zum Vertrauten von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und diente ihr als Aussenminister. Auch wenn ihr Verhältnis nicht konfliktfrei war, blieb er Timoschenko treu, als sie 2010 wegen angeblichen Amtsmissbrauchs inhaftiert wurde, und übernahm in ihrer Abwesenheit die Führung ihrer Vaterlandspartei.
Lange galt der schmale Mann mit der schwarzen Brille als Intellektueller ohne grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Als Vize-Gouverneur der Zentralbank, Wirtschaftsminister und Parlamentspräsident konnte er zwar reichlich politische Erfahrung vorweisen und wiederholt seine wirtschaftliche Kompetenz unter Beweis stellen.
Doch er galt stets als eher blass. Bei der Präsidentenwahl 2010 erhielt Jazenjuk nur sieben Prozent der Stimmen und landete weit hinter dem Gewinner Viktor Janukowitsch und Timoschenko auf dem vierten Platz.
Plötzlich eine Führungsfigur auf dem Maidan
Als Ende November Janukowitsch aber mit dem überraschenden Stopp des über Jahre ausgehandelten EU-Assoziierungsabkommens massive Proteste auslöste, fand sich Jazenjuk in der Rolle des Oppositionsführers wieder.
Zusammen mit Profiboxer Vitali Klitschko und dem Rechtsnationalist Oleg Tiagnibok bildete er das Führungstrio, das über Monate immer wieder mit dem Präsidenten verhandelte. Mit seinen kämpferischen Auftritten auf dem Maidan und seiner standhaften Haltung konnte er dabei deutlich an Profil gewinnen.
In einer Rede, die sich als bittere Realität erweisen sollte, warnte er Janukowitsch, die Demonstranten wären bereit, «eine Kugel im Kopf» zu akzeptieren, wenn es dies bedürfe, um den Präsidenten zu stürzen.
Vergangenen Freitag unterzeichnete er dann aber nach stundenlangen Verhandlungen unter Vermittlung der Aussenminister aus Berlin, Warschau und Paris eine Vereinbarung, um das Blutvergiessen zu beenden. Da das Abkommen Janukowitsch erlaubte, bis zu Neuwahlen im Dezember im Amt zu bleiben, hielt es aber nur wenige Stunden.
Nach der Flucht und dem Sturz des Staatschefs am Samstag drang Jazenjuk darauf, ihn wegen des brutalen Vorgehens der Polizei vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen.
Für EU und gegen Korruption
Der verheiratete Vater von zwei Töchtern befürwortet weiter eine Annäherung an die Europäische Union, zudem will der als sparsam geltende Politiker, der als Minister oft normale Linienflüge nahm, den Kampf gegen die Korruption zur Priorität machen.
Welchen Rückhalt Jazenjuk aber etwa bei dem rechtsradikalen Pravy Sector hat, der in der Protestbewegung über grossen Einfluss verfügt, muss sich in den kommenden Monaten erst noch zeigen.