Im Palais des Nations in Genf beginnen am Dienstag Gespräche über die dramatischste Krise dieser Zeit. Hinter verschlossenen Türen sollen die Konfliktparteien in Syrien in den nächsten Wochen über Auswege diskutieren.
Das syrische Staatsfernsehen verbreitet derweil Zuversicht, gibt allabendlich einen Überblick über angeblich vernichtend geschlagene Terroristenbanden an den verschiedenen Kriegsfronten. Doch die Realität sieht anders aus.
Radikaler Rebellenflügel übernimmt Führung
Die Assad-Gegner haben in den letzten Wochen bemerkenswerte Geländegewinne gemacht. «Es gibt eine deutliche bessere Zusammenarbeit unter den Rebellengruppen», sagt Yezid Sayigh, der den Syrienkrieg für den Carnegie Think Tank in Beirut analysiert. Insbesondere im Norden, in der Provinz Idlib.
Der Hauptgrund: Ein Flügel der Rebellion, der radikalste, hat sich durchgesetzt. Vorwiegend islamistische Rebellengruppen koordinieren mit dem syrischen Al-Kaida-Ableger Jabhat al Nusra ihre Operationen. Gemässigtere Rebellen wurden verdrängt. Auch solche, auf welche die Amerikaner ihre Hoffnungen setzten.
Religiöser Kampf statt Befreiung von Assad
Kommt hinzu, dass offensichtlich auch die wichtigsten Sponsoren Katar und Saudiarabien zusammenspannen. Sie standen in Syriens zersplitterter Rebellenfront oft gegeneinander und unterstützten Gruppen, die sich gegenseitig misstrauten oder gar bekämpften.
Doch die Golfmonarchien stellten ihre Differenzen zurück und unterstützen nun offenbar islamistische Rebellen gemeinsam. Unklar ist, wie stark auch die Türkei in dieser neuen Allianz der sunnitischen Regionalmächte mitmacht und welche Rolle die Amerikaner im Bündnis der Assad-Feinde noch spielen.
Auf einem Propagandavideo nahm der Kommandant des Jaish al Islam kürzlich eine grosse Parade ab. Es ist wenig von Syrien und viel von religiösem Kampf und Aufopferung die Rede. Die Parade fand östlich von Damaskus statt. Nur ein paar Dutzend Kilometer Luftlinie von Assads Präsidentenpalast entfernt.
Assad unter Druck, aber nicht am Ende
Nicht nur im Norden zeigen islamistische Rebellen also neue Zuversicht, sondern auch vor den Toren der Hauptstadt. Das syrische Regime werde deswegen nicht gleich implodieren, bemerkt Experte Sayigh. Denn es kontrolliere noch immer den weitaus bevölkerungsreichsten Teil des Landes.
Aber Assads Spielraum wird nach Einschätzung von Sayigh weiter schrumpfen. Das Regime sei ausgezehrt, habe keine Kräfte mehr, die es neu mobilisieren könnte. Assad sei von Monat zu Monat stärker auf seine ausländischen Verbündeten angewiesen, iranische oder iranisch-gesteuerte Kräfte wie die Schiitenmiliz Hizbollah aus Libanon.
Ist deren Treue bedingungslos? Oder entsteht unter dem neuen Druck auf Assad womöglich Raum für die Diplomatie? Die Einladung der UNO an die Kriegsparteien und die Regionalmächte nach Genf suggeriert es.
Experte skeptisch
Sayigh glaubt nicht daran. Erstens sei ungewiss, ob dem Assad-Regime überhaupt irgendwelche politischen Konzessionen abgetrotzt werden könnten. Und wenn, dann werde das hinter verschlossenen Türen in Geheimgesprächen in Moskau oder Teheran geschehen. «Nicht im Rahmen der UNO-Diplomatie», ist Sayigh überzeugt.
Auch bei der UNO in Genf gibt man sich vor der neuen Syrien-Runde betont bescheiden. Man spricht nicht von Gesprächen, sondern lediglich von Konsultationen und formuliert keinen konkreten Horizont.