- Wer war Alexander Litwinenko?
Alexander Litwinenko war seit 1988 für den sowjetischen Inlandsgeheimdienst KGB tätig. Bei der russischen Nachfolgeorganisation FSB wurde er Spezialist im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Litwinenko machte 1998 einen vermeintlichen Mordauftrag des FSB öffentlich. Nach eigener Aussage sollte Litwinenko den damaligen Sekretär des Staatssicherheitsapparats, Boris Beresowski, ermorden. Der FSB-Chef zu der Zeit hiess Wladimir Putin.
Nach drei Strafverfahren wegen angeblichen «Machtmissbrauchs» verliess er im Jahr 2000 samt Familie Russland auf illegalem Wege. In London beantragte er politisches Asyl. Später erhielt er die britische Staatsbürgerschaft. Dort arbeitete Litwinenko als Journalist und Buchautor, soll aber auch als Berater für den britischen Geheimdienst MI6 tätig gewesen sein.
- Die Kritik am Kreml
- Der Tattag: 1. November 2006
Alexander Litwinenko trifft sich am 1. November 2006 in London zunächst mit dem italienischen Geheimdienstexperten Mario Scaramella in einem Sushi-Restaurant. Der Italiener soll Litwinenko mitgeteilt haben, dass er und Beresowski das Ziel von Anschlägen seien.
Später hat Litwinenko eine Verabredung mit den früheren KGB-Mitarbeitern Andrei Lugowoi und Dmitri Kowtun im Millennium Hotel am Grosvenor Square. Dort trinkt er einen Tee. Am Abend wird er in ein Krankenhaus eingeliefert. Am 23. November stirbt Litwinenko. In seinem Urin wird das hochradioaktive Polonium-210 in starker Konzentration nachgewiesen. Ein Gerichtsmediziner hatte über die Obduktion der Leiche gesagt, sie sei wohl «die gefährlichste der westlichen Welt» gewesen. Bei der posthumen Untersuchung hätten die Medizinier zwei Sicherheitsanzüge übereinander getragen – so sehr habe die Leiche gestrahlt.
Litwinenko hatte noch auf dem Sterbebett in einer polizeilichen Vernehmung direkt den russischen Präsident Wladimir Putin für seinen bevorstehenden Tod verantwortlich gemacht.
- Der Tatort
- Die Untersuchung
Am 6. Dezember 2006 erklärt Scotland Yard, dass Litwinenko ermordet wurde. In den Fokus der Ermittlungen geraten schnell die Männer, die Litwinenko zuletzt getroffen hatte: Andrei Lugowoi und Dmitri Kowtun. Besonders Lugowoi ist verdächtig. Der Kontakt zu Polonium kann ihm nachgewiesen werden. London stellt einen Auslieferungsantrag für Lugowoi, Moskau lehnt ab. Lugowoi bestreitet die Tat. Die Ermittlungen verlaufen im Sande – bis heute. Neue Indizien wie eine Tonaufnahme Litwinenkos, in der er neue Vorwürfe Richtung Putin richtete, haben die Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglicht.
- Die Spur des tödlichen Gifts
Litwinenko stirbt durch die Vergiftung mit der radioaktiven Substanz Polonium-210 in seinem Tee, den er im Millenium Hotel getrunken hatte. Bei sieben Mitarbeitern des Hotels sollen ebenfalls Spuren des giftigen Metalls gefunden worden sein, berichtete die BBC 2008 unter Berufung auf britische Gesundheitsbehörden.
Auch Andrei Lugowoi und Dimitri Kowtun sollen mit der Substanz in Berührung gekommen sein. Eine Spur nach Moskau konnte durch Andrei Lugowoi nachgewiesen werden.
Er hinterliess an Lichtschaltern, Banknoten und Flugtickets Spuren des betreffenden Poloniums. Auch auf seinen benutzen Flugzeugsitzen und in seinem Londoner Hotelzimmer wird die Substanz gemessen: Im Badezimmer des Hotels besonders hohe. Er soll es aus verschüttet haben, argumentierte ein Anwalt von Scotland Yard bei der unabhängigen Untersuchung.
Lugowoi gilt deshalb als Haupt-Tatverdächtiger im Mordfall Litwinenko. Die britischen Ermittler konnten ausserdem die Herkunft des Poloniums nachweisen. Demnach stammte es tatsächlich aus Russland.
- Die beteiligten Personen
Andrei Lugowoi
Lugowoi hat viele Jahre für den sowjetischen Geheimdienst KGB gearbeitet. Danach soll er für den FSB tätig gewesen sein, was er stets bestritten hat. Ebenso bestreitet er den Mordvorwurf.
Lugowoi hatte 2007 erklärt, dass die Ermordung Litwinenkos nicht ohne Kenntnis des britischen Geheimdienstes möglich gewesen sein kann. Lugowoi und Dmitri Kowtun sind gut miteinander bekannt.
Der 49-Jährige ist heute Eigentümer einer privaten Sicherheitsfirma und seit 2007 Abgeordneter des russischen Parlaments, der Duma. Mit dem Eintritt ins Parlament erlangte er Immunität. 2015 verlieh ihm der russische Präsident Wladimir Putin einen Verdienstorden.
Dmitri Kowtun
Kowtun ist als Geschäftsmann tätig. Der heute 50-Jährige war zwischen 1986 und 1991 als Sowjet-Offizier in der DDR stationiert. Nach dem Fall des «Eisernen Vorhangs» betrieb er von Hamburg aus eine Beraterfirma.
2003 kehrte er nach Russland zurück und war dort unter anderem für den Energiekonzern Gazprom tätig.
Nach Angaben der Moskauer Staatsanwaltschaft soll Kowtun selbst mit Polonium kontaminiert worden sein. Er wurde in derselben Moskauer Klinik behandelt, in der sich auch Lugowoi nach der Vergiftung Litwinenkos zur Untersuchung befand.
In der neu aufgerollten Untersuchung des Falles sollte Kowtun im Juli 2015 als Zeuge per Videolink aus Moskau vor dem Londoner Strafgerichtshof aussagen. Wenige Tage vor dem Aussagetermin zog er seine Bereitschaft zurück. Grund dafür sei seine Verpflichtung in der russischen Untersuchung. Die britische Untersuchung wurde nun ohne seine Aussage beendet.
Wie Lugowoi bestreitet Kowtun eine Tätigkeit für den russischen Nachrichtendienst FSB.
Mario Scaramella
Scaramella ist ein italienischer Geheimdienst-Experte. 2003 war der heute 44-Jährige Berater eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Tätigkeit sowjetischer Geheimdienste in Italien zum Thema hatte. Zum Zeitpunkt des Mordes an Litwinenko war Scaramella angeblich mit Recherchen zum Politkowskaja-Mord beschäftigt. Er soll enge Kontakte zum russischen Geheimdienst gepflegt haben. Gegen ihn wurde bereits wegen Geheimnisverrats und Waffenhandel ermittelt.
- Die neue Untersuchung
Litwinenkos Witwe, Marina Litwinenko hat die neue Untersuchung gegen den Willen der britischen Regierung durchgesetzt. Am 21. Januar 2016 wurde der Schlussbericht dazu der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Ein Jahr lang hat sich der britische Richter Robert Owen mit der Frage beschäftigt, wer für Litwinenkos Tod verantwortlich ist. Er kann in seinem Bericht aber nur Empfehlungen abgeben: Die letzte Untersuchung war kein Prozess. Strafrechtliche Konsequenzen hat diese deswegen nicht. Das bedeutet aber nicht, dass die umgerechnet rund drei Millionen Euro teure Untersuchung folgenlos bleibt.
- Putin billigte vermutlich Ermordung
Am 21. Januar 2016 präsentierte Richter Owen, der die gerichtliche Untersuchung des Falls in London leitete, seinen Abschlussbericht. Den Giftmord habe wahrscheinlich der russische Geheimdienst FSB in Auftrag gegeben, so Owen. Der russische Präsident Putin soll die Zustimmung zum Mord gegeben haben.
Die Tat sei «wahrscheinlich gutgeheissen worden» vom damaligen FSB-Chef Nikolai Patruschew und «auch von Präsident Putin», schrieb Owen.
Owens Bericht ist diplomatisch heikel. Russische Zeitungen fürchten einen Rückschlag für das onehin labile bilaterale Verhältnis zwischen Russland und Grossbritannien.