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Ein beschädigtes Wahlplakat vom türkischen Premier Erdogan.
Legende: Erdogan steht wegen seiner Politik gegenüber sunnitischen Extremisten in der Kritik. Keystone/Archiv

International Wie die Türkei zunehmend in die Fänge der IS gerät

Die Politik des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gegenüber der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist umstritten. Er sei mitverantwortlich für den Aufstieg der sunnitischen Extremisten, werfen ihm Kritiker vor. Militärexperten warnen, IS bedrohe die Sicherheit des türkischen Staates.

Die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist überall: In einem Istanbuler Viertel kann man Flaggen und Spruchbänder der sunnitischen Dschihadisten kaufen. In Syrien und im Irak kontrollieren sie Dörfer an der Grenze zur Türkei. Und von der türkischen Provinz Sanlurfa aus kann man ihre schwarze Fahne sehen. Aber IS ist kein wirklich grosses Thema in den türkischen Medien.

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Das ist etwas, was die Istanbuler Journalistin Gülsin Harman von der Zeitung «Milliyet» beunruhigt. «Wir haben ein eigentliches Medien-Blackout hier. Nicht nur, was die 49 türkischen Geiseln in Mossul in der Hand der Terroristen betrifft, sondern beim Thema IS überhaupt», sagt sie. Die Informationen über die Terrormiliz kämen oft von ausländischen Medien, nicht von türkischen. Praktisch kein Kollege recherchiere an der Grenze zu Syrien oder zum Irak.

Istanbul als IS-Rekrutierungsort

Da ist einerseits der Druck der Regierung, der die Journalisten hemmt. Aber natürlich geht auch Gefahr von IS selber aus. «Die Terrormiliz organisiert sich immer besser in der Türkei und rekrutiert viele Kämpfer», sagt Harman.

Tatsächlich bezeichnen Geheimdienste die Metropole Istanbul als einen sehr wichtigen Rekrutierungsort von IS. Die Terrormiliz miete Wohnungen und spreche junge Türken in Teehäusern, Geschäften und Koranschulen an. Polizei und Regierung schauten weg. Die Zahl der Türken innerhalb von IS wird heute auf zehn Prozent geschätzt.

Die türkische Regierung hat dieses Monster mitgeschaffen und jetzt kann sie es nicht mehr kontrollieren.
Autor: Gülsin Harman Journalistin bei der türkischen Zeitung Millyet

Die Türkei trage eine grosse Mitverantwortung am Aufstieg von IS, sagt die Journalistin, welche die Extremistenszene schon lange beobachtet. «Die türkische Regierung hat dieses Monster mitgeschaffen und jetzt kann sie es nicht mehr kontrollieren.» Premier Recep Tayyip Erdogan sei praktisch selber zur Geisel der Isis geworden.

IS warnt Türkei vor Kurswechsel

Auch Militärexperten warnen: Der pensionierte General Armagan Kuloglu schrieb kürzlich in einem Artikel, IS bedrohe die Sicherheit des türkischen Staates. Die Regierung könne dies aus ideologischen Gründen nicht zugeben. Sie sage, um die türkischen Geiseln in Mossul nicht zu gefährden, dürfe man IS nicht provozieren. Aber das sei nur ein Versuch, etwas zu kaschieren – nämlich eine falsche Politik gegenüber den sunnitischen Extremisten.

Die Journalistin Harman konkretisiert die Aussagen des hohen Militärs. «Die Regierung Erdogan wollte unbedingt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stürzen und hat hierfür alles investiert und auch alle Mittel legitimiert», sagt sie. Sie habe IS und andere radikale Gruppen in jeder Hinsicht unterstützt und die Grenzen geöffnet. Extremisten und Material hätten diese Grenzen nach Syrien und in den Irak frei passieren können. Und heute drohe IS der türkischen Regierung, sollte sie dem Westen nachgeben und die Dschihadisten bekämpfen.

Türkische Geiseln

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Der Albtraum begann am 10. Juni: An diesem Tag nahmen IS-Kämpfer bei ihrem Vormarsch auf die nordirakische Stadt Mossul 59 türkische Geiseln. Die sunnitischen Extremisten stürmten das Konsulat der Türkei. Mehr als zwei Monate später sind die Diplomaten und Angestellten noch immer in der Hand der Dschihadisten.

Erdogan spielt die sunnitische Karte

Seit die IS-Terroristen türkische Diplomaten in ihrer Gewalt haben, realisierten Erdogan und Aussenminister Ahmet Davutoglu die Gefahr, sagt Harman. Unmittelbar vor der Geiselnahme im Juni aber – als der Geheimdienstchef das Konsulat in Mossul evakuieren wollte –, habe Davutoglu die Gefahr noch heruntergespielt. Und auch heute noch bezeichne Erdogan die IS-Kämpfer nicht als Terroristen.

IS sei das Resultat der Unterdrückung und der Diskriminierung der Sunniten. So versuche Erdogan die Existenz von IS und die brutale Gewalt der Terrormiliz zu erklären, sagt die Journalistin. «In den zwölf Jahren seiner Regierungszeit hat Ministerpräsident Erdogan in der Türkei die sunnitische Karte gespielt.» Er habe eine Atmosphäre geschaffen, in der sich die Sunniten gegenüber Minderheiten und anderen Gruppierungen privilegiert fühlten. Das sei ein fruchtbarer Boden für die Radikalisierung junger Sunniten, glaubt Harman.

«Bevor die islamisch-konservative AKP-Regierung mit Erdogan in der Türkei an die Macht kam, hatten wir hier nicht viele Salafisten, diese streng konservativen, radikalen, sunnitischen Muslime, die dem saudischen Wahabismus anhängen», sagt sie. Heute seien sie zahlreich und ihr Einfluss sei unter Erdogan stetig gewachsen.

Nato sagt Ankara Unterstützung zu

Die radikalsten sunnitischen Extremisten, die sich in der Terrormiliz Isis sammeln und die Region das Fürchten lehren, bedrohen nun die Sicherheit der Türkei. Anders als Premier Erdogan spielt die Spitze der Nato diese Gefahr nicht herunter. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen versprach der Regierung in Ankara jüngst Unterstützung – im Notfall.

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