Michal Gorecki sitzt in der Stube seines Einfamilienhauses am Rande Warschaus und kann es selber noch nicht recht glauben, dass er ein Projekt der neuen national-konservativen Regierung lobt: «Ich war immer gegen die Partei ‹Recht und Gerechtigkeit›, und bin es eigentlich immer noch. Aber meine politischen und wirtschaftlichen Überzeugungen haben sich speziell im letzten Jahr geändert.»
Gorecki ist 39 Jahre alt. Als Blogger erzählen er und seine Frau aus ihrem Alltag mit drei kleinen Kindern im hippen Warschau. Sie erreichen damit jeden Monat etwa 60'000 Leute. Als Unternehmer produziert er T-Shirts mit Aufdrucken, die sich bei jungen, urbanen Polinnen und Polen bestens verkaufen: «Ich brauche dieses Geld nicht. Wir kommen gut über die Runden, aber uns geht es finanziell auch viel besser als den meisten Polinnen und Polen», sagt er.
Kinder kosten – auch in Polen
Doch die Kinderkosten sind auch für den oberen Mittelstand happig. Gorecki zum Beispiel bekam keinen der viel zu wenigen staatlichen Krippenplätze, dafür geht es ihm zu gut. Also bezahlt er jetzt für die private Krippe. Hinzu kommen die Kosten für die private Gesundheitsversorgung, die er sich leistet, weil er im Spital mit seinen Kindern nicht mehr Stunden auf einen Arzt warten will auf dem selber mitgebrachten Stuhl.
«Kinder kosten. Die je 500 Zloty für unser zweites und drittes Kind helfen, auch wenn sie nicht einmal die Ausgaben für die private Krippe ganz decken», schildert der Blogger. Geld verteilen sei zwar nicht ideal, sagt Gorecki. Doch es sei gut, dass endlich jemand an die Familien denke und ihnen helfen wolle: «Ich sage Jein zu 500plus. Man könnte es besser machen, aber es ist ein guter Schritt.»
Der Sozialstaat neu entdeckt
Vor fünf Jahren hätte er ein solches Programm noch als sozialistisch verurteilt, so Gorecki: «Wir dachten lange erzliberal, weil wir immer noch den Kommunismus im Nacken hatten, sogar ich, der nur zwölf Jahre alt war, als der Kommunismus zu Ende ging. Alles, was irgendwie an Sozialismus erinnerte, war für uns einfach schlecht.»
Doch dann habe er bemerkt, dass Deutschland, Schweden oder Dänemark viel sozialer sind als Polen und dass das dort funktioniert, dass es in Deutschland zum Beispiel Kindergeld gibt. Man führe also nicht unbedingt wieder den Kommunismus ein, wenn man etwas Soziales tut.
Sozialpolitik ist für Gorecki eine gute Sache geworden. Und eine Sache, die Polen dringend braucht, das sagt auch Anna Karaszewska: «Aber Sozialpolitik sollte durchdacht sein und keine neuen Probleme schaffen.» Und durchdacht sei 500plus nicht. Karaszweska ist die Chefin von «ingeus», einem Unternehmen, das im Auftrag der Regierung Langzeitarbeitslose unterstützt, eine neue Stelle zu finden.
Sie arbeitet in abgelegenen Regionen, wo die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Natürlich freuen sich die Leute dort, wenn die Regierung Bares verteilt. Doch sie geben das Geld schlecht aus. Die Sozialarbeiter vor Ort, mit denen sie spreche, wüssten das, sagt die Arbeitslosentrainerin: «Oft fliesst dieses Geld in Alkohol, in Wodka also, ein grosses Problem auf dem Land in Polen. Den Kindern kommt es nicht zu gute. Oder eine Frau, mit der ich derzeit arbeite, hat mir gesagt, dass sie früher selber gekocht habe, dank 500plus jetzt aber öfter zu McDonalds gehe.»
Die Sozialleistungen sind wie Süssigkeiten. Die Leute mögen sie, auch wenn sie langfristig Schaden anrichten
Das Geld verfehlt seinen Zweck. Und schlimmer noch, es hält Frauen von der Arbeit ab, schildert Karaszewska: «Wir sehen die Reaktionen der Frauen, mit denen wir zusammenarbeiten. Schon als 500plus angekündigt wurde, stiegen sie aus unseren Trainings aus oder gaben neu gefundene Jobs wieder auf.»
Oft würden diese Frauen nicht mehr verdienen, als was sie jetzt erhalten, wenn sie drei oder vier Kinder haben, sagt Karaszewska. Und dann gäben vor allem junge Frauen auf dem Land die Arbeit auf. Schon jetzt liegt die Erwerbsquote polnischer Frauen im europäischen Vergleich sehr tief. Und mit 500plus wird sie wohl weiter sinken.
Frauen zurück an den Herd?
«Polen kann sich wirtschaftlich nicht leisten, dass so viele Menschen dem Arbeitsmarkt dauerhaft den Rücken zukehren», sagt Karaszewska. Jobs gäbe es, sagt sie aus Erfahrung, man müsse die Leute nur richtig trainieren. Stattdessen werden die Frauen jetzt mit Kindergeld an den Herd gelockt.
Anderswo würden solche Programme gegen Armut jeweils mit Anreizen zur Arbeit verknüpft. Die neue Regierung in Polen habe das vergessen. Ob absichtlich – also weil sie die Frauen wieder in die Rolle der «matka polka» drängen möchte, der polnischen Mutter – oder aus Versehen, das lässt die Arbeitslosentrainerin offen.
Sorgen bereitet ihr, dass 500plus so beliebt ist in Polen, dass kaum eine Regierung es wagen wird, diesen Fehler zu korrigieren. So sei es eben mit populistischen Lösungen: «Die sind wie Süssigkeiten. Die Leute mögen sie, auch wenn sie langfristig Schaden anrichten.»