Zum Inhalt springen

Iran: Tod von Mahsa Amini «Inzwischen gibt es auch Proteste in Teheran»

Nach dem Tod einer jungen Iranerin in Haft kommt es im Land zu Protesten. Die 22-jährige Mahsa Amini war in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie das vorgeschriebene Kopftuch nicht regelkonform getragen haben soll. Wie stark die Proteste sind, weiss ARD-Korrespondentin Karin Senz.

Karin Senz

Journalistin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Die deutsche Journalistin ist seit 2017 ARD-Korrespondentin in Istanbul und berichtet aus der Türkei. Zu ihrem Berichterstattungsgebiet gehören auch Griechenland und Iran.

SRF News: Was genau ist passiert?

Karin Senz: Mahsa Amini soll laut Darstellung ihrer Familie von den Polizisten zu Tode geprügelt worden sein. Diese wiederum behaupten, die 22-Jährige sei an einem Herzanfall gestorben. Ein iranischer Oppositionssender veröffentlichte Bilder einer Computertomografie, die von Amini stammen sollen und einen Schädelbruch sowie Gehirnblutungen zeigen.

Wie stark sind die Proteste, die sich am Tod der jungen Frau entzündet haben?

Das ist hier von Istanbul aus schwierig einzuschätzen. Unsere Mitarbeiter in Iran können nicht zu den Protesten, weil diese illegal sind und es dort Festnahmen gibt. Wir sind also auf Augenzeugenberichte angewiesen. Dabei zeigt sich, dass es doch massive Proteste sind. Begonnen haben sie am Samstag bei der Beerdigung Aminis in der Kurdenregion im Nordwesten Irans. Vor dem Gouverneursamt sollen dabei Steine geworfen worden sein.

Mehrere Menschen wurden getötet oder verletzt, es kam zu Strassenschlachten.

In der Nacht auf Dienstag wurden nach Angaben einer Kurdenorganisation mehrere Menschen getötet oder verletzt. Demnach kam es zu Strassenschlachten, die Polizei setzte Wasserwerfer ein und verhaftete zahlreiche Demonstrierende. Inzwischen wird auch in Teheran protestiert. Dabei sind Parolen wie «Tod dem Diktator!» oder «Weg mit den Mullahs!» zu hören.

Warum löst ausgerechnet der Tod dieser jungen Frau derartige Proteste aus?

Als ich im Juni letztmals in Iran war, fiel mir auf, dass viele Frauen ihre Kopftücher sehr locker trugen – oder Blusen, an denen die oberen Knöpfe geöffnet waren. Auch bauchfreie Shirts oder solche mit grossen Ausschnitten waren zu sehen. Und das trotz der Tatsache, dass mit dem neuen Präsidenten Ebrahim Raisi eine eher härtere Gangart bei den Sittenvorgaben für Frauen erwartet worden war.

Doch seit dem Frühsommer schreitet die Sittenpolizei in solchen Fällen massiv ein. Und sie geht teils mit grosser Brutalität gegen verhaftete Frauen vor, wie Videos zeigen. Offenbar hat sich deshalb in der Bevölkerung viel Wut angestaut, viele Menschen wollen keine Rückschritte akzeptieren.

Was können die aktuellen Proteste der iranischen Bevölkerung bringen?

Die Videos zeigen, dass mit grosser Entschlossenheit protestiert wird. Die Menschen gehen dabei grosse Risiken ein: Sie müssen damit rechnen, verletzt oder verhaftet und womöglich misshandelt oder sogar getötet zu werden.

Die Menschen wollen auch mehr Freiheiten.

Es geht ihnen dabei nicht bloss um das Kopftuch: Sie wollen angesichts der wirtschaftlichen Misere endlich besser leben. Die Menschen wollen aber auch mehr Freiheiten. Ein Mann sagte mir, der Iran sei ein muslimisches Land ohne Muslime. Das gilt wohl nicht unbedingt für die ländlichen Gebiete, für die Städte und Metropolregionen wohl tendenziell aber schon.

Wie reagiert die Regierung auf die Proteste?

Präsident Raisi hat die Familie Aminis angerufen und eine Untersuchung des Todesfalls angeordnet. Doch viele Iranerinnen und Iraner zweifeln an der Ernsthaftigkeit der Untersuchung, deren Ergebnisse in ein paar Wochen vorliegen sollen. Klar ist: Der Druck auf die Regierung nimmt zu. Doch es ist völlig unklar, ob sie den Forderungen nachkommen, oder ob sie – wie in der Vergangenheit – die Proteste mit aller Brutalität niederschlagen wird.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News aktuell, 20.09.2022, 07:20 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel