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Iran will Afghanen loswerden Hunderttausende Afghanen werden aus dem Iran ausgeschafft

Irans Regierung erhöht den Druck auf Afghaninnen und Afghanen. Und das, obwohl schon seit März eine regelrechte Ausschaffungswelle im Gang ist. Die Hintergründe erläutert SRF-Nahost-Korrespondent Thomas Gutersohn.

Thomas Gutersohn

Nahost-Korrespondent

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Thomas Gutersohn lebt seit 2023 in Amman und berichtet für SRF aus dem Nahen Osten. Von 2016 bis 2022 war er als Südasien-Korrespondent tätig, zuvor hat er aus der Westschweiz berichtet. Gutersohn arbeitet seit 2008 bei SRF und hat in Genf Internationale Beziehungen studiert.

Warum erhöht Teheran gerade jetzt den Druck auf Afghaninnen und Afghanen?

Das hat mit dem zwölf-Tage-Krieg gegen Israel zu tun: Die iranischen Behörden suchen mit Hochdruck nach israelischen Spionen, die für die Ermordung zahlreicher iranischer Militärs und Sabotage-Aktionen verantwortlich gemacht werden. Dazu wurden hunderte Checkpoints eingerichtet, es gibt massive Kontrollen im ganzen Land. Hunderte Personen sollen verhaftet, Dutzende sollen bereits hingerichtet worden sein. Bei den Kontrollen und Razzien gingen den Iranern auch bis zu 800'000 Afghaninnen und Afghanen ins Netz. Manche von ihnen werden verdächtigt, für Israel spioniert zu haben.

UNO: Über 1.2 Millionen Afghanen haben Iran verlassen

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Unter dem Druck iranischer Behörden haben nach UNO-Angaben seit Jahresbeginn mehr als 1.2 Millionen Afghanen den Iran in Richtung Afghanistan verlassen.

Etwa die Hälfte davon sei zwangsweise abgeschoben worden, sagte Babar Baloch, ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Genf. In den vergangenen Wochen nahm der Exodus demnach drastisch zu. Seit Anfang Juni seien mehr als 600'000 Menschen aus dem Iran in Afghanistan angekommen, hiess es.

Wie plausibel ist das?

Es ist tatsächlich nicht sehr plausibel, dass Afghanen in grosser Zahl für Israel spioniert haben. Sie kamen meist ohne Papiere illegal in den Iran und verdingen sich als Tagelöhner, Hilfskräfte oder als Hausangestellte. Selbst wenn einige mit den ermordeten Generälen in Kontakt standen, stehen jetzt 3.5 Millionen Afghaninnen und Afghanen im Iran unter Generalverdacht, für Israel gearbeitet zu haben. Sie sind wohl vor allem eine Art Beifang der Razzien. Schon seit März führt der Iran eine gross angelegte Abschiebewelle von Afghanen durch, jetzt wird sie intensiviert. Nach dem Krieg gegen Israel hatte der Iran zudem angekündigt, alle Ausländer ohne gültigen Aufenthaltstitel auszuweisen.

Warum leben so viele Afghanen im Iran?

In keinem anderen Land leben so viele Flüchtlinge wie im Iran. Die meisten von ihnen sind Afghanen. Bei den meisten handelt es sich um junge Männer auf der Suche nach Arbeit, die vor der Repression der Taliban und der wirtschaftlichen Not in ihrem Heimatland geflohen sind. Viele wollen weiter in Richtung Türkei und Europa – und weil das sehr teuer ist, arbeiten sie zunächst im Iran, um Geld zu verdienen. Jetzt sollen bis zu 50'000 Afghanen pro Tag in Bussen nach Afghanistan zurückgebracht worden sein.

Afghanistan – ein durch Krieg gezeichnetes Land

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Kabul.
Legende: Blick auf die afghanische Hauptstadt Kabul. Reuters

Afghanistan ist seit bald 50 Jahren Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen: Ende 1979 marschierten die Sowjets ins Land ein, um die damals kommunistische Regierung auf dessen Wunsch gegen Aufständische, die sogenannten Mudschaheddin, zu stützen. Letztere wurden vor allem von den USA mit Waffen beliefert – es herrschte Kalter Krieg. 1989 zogen die Sowjets ab, die Lage in Afghanistan blieb instabil.

1996 übernahmen die radikal islamistischen Taliban in Afghanistan die Macht. Sie boten dem Al-Kaida-Terrorführer Osama bin Laden und seinen Extremisten Unterschlupf und stellten ihnen Trainingsgelände zur Verfügung. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 marschierten die US-Armee und ihre Nato-Verbündeten in Afghanistan ein – mit dem Ziel, die Taliban und Al-Kaida zu eliminieren. Sie stürzten das Taliban-Regime und unterstützten den Aufbau einer neuen afghanischen Regierung unter Hamid Karzai.

Die Petersberger Konferenz 2001 legte den Grundstein für eine Demokratisierung des Landes. Trotz internationaler Hilfe blieb Afghanistan aber in den Folgejahren von Gewalt und Instabilität geprägt. Die Taliban formierten sich neu und führten einen langjährigen Aufstand gegen die Regierung in Kabul und die ausländischen Truppen.

Der Abzug der westlichen Truppen 2021 führte zu einem raschen Vormarsch der Taliban, die Kabul und schliesslich das gesamte Land mit gut 50 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern einnahmen. Erneut errichteten die Taliban das «Islamische Emirat Afghanistan». Menschen- und Frauenrechte wurden massiv abgebaut, woraufhin sich die meisten internationalen Hilfsorganisationen aus dem Land zurückzogen. Entsprechend desolat ist inzwischen die Lage vieler Menschen in Afghanistan. (snep)

Wie leben die Afghanen im Iran?

Sie sind dort schlecht integriert – aber immerhin sprechen sie praktisch die gleiche Sprache wie die Iraner und so ist eine Verständigung gut möglich. Doch die Afghanen werden im Iran als Menschen zweiter Klasse angesehen und sind stark marginalisiert. So sind sie der Willkür ihrer Arbeitgeber und auch der Behörden schutzlos ausgeliefert. Selbst wenn ein Afghane über eine Arbeitserlaubnis verfügt, hat er praktisch keine zivilen Rechte im Iran.

Was passiert mit den Ausgeschafften in Afghanistan?

Viele werden wohl versuchen, wieder in den Iran zu gelangen – vor allem jene, die dort über eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verfügen. Die wirtschaftliche und politische Lage in Afghanistan hat sich keineswegs verbessert, sondern eher verschlechtert. Und so sind die Aussichten für die Afghanen im Iran trotz allem immer noch besser als in ihrer Heimat.

Was sagen Beobachter?

Hilfsorganisationen warnen angesichts der Situation vor einer Verschärfung der humanitären Krise in Afghanistan: «Das Land ist überfordert mit der Aufnahme der Vertriebenen», heisst es etwa von der NGO World Vision. «Die Wirtschaft liegt am Boden, und schlechte Ernten als Folge des Klimawandels verschärfen die Not.» Nach Angaben der UNO sind derzeit knapp zehn Millionen Menschen in Afghanistan von Hunger bedroht.

SRF 4 News aktuell, 10.7.2025, 6:50 Uhr ; 

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