Zum Inhalt springen

Irans Abschiebung von Afghanen «Sie werden auf der Arbeit oder beim Einkaufen verhaftet»

Hunderttausende Afghaninnen und Afghanen werden aktuell gewaltsam aus dem Iran ausgeschafft. Sie stehen unter Generalverdacht, für Israel spioniert zu haben. Was die Betroffenen dabei erleben und was sie in Afghanistan erwartet, weiss Zahra Nader, Journalistin und Chefredakteurin von Zan Times.

Zahra Nader

Journalistin und Chefredakteurin von Zan Times

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Zahra Nader ist eine afghanisch-kanadische Journalistin sowie Chefredakteurin und Gründerin von Zan Times. Das investigative Onlinemagazin wird von Journalistinnen betrieben, die innerhalb und ausserhalb des Landes über Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan berichten, mit Schwerpunkt auf Frauen und die LGBTQI+-Community.

SRF News: Was haben Ihnen abgeschobene Afghanen erzählt?

Zahra Nader: Wir haben Dutzende von Zeugenaussagen afghanischer Flüchtlinge gesammelt, die gewaltsam aus dem Iran zurückgeführt wurden. Wir haben sie an den Einreisegrenzen zu Afghanistan befragt. Viele schildern, dass sie zu Hause, an ihrem Arbeitsplatz oder beim Einkaufen verhaftet wurden. Sie wurden vorher nicht informiert und hatten keine Zeit, sich vorzubereiten.

Wir haben auch Fälle dokumentiert, in denen unbegleitete Kinder im Iran verhaftet wurden.

Sahar, eine Witwe und Mutter von fünf Kindern, erzählte uns: «Ich habe sie angefleht, mir zwei Tage Zeit zu geben. Sie haben nicht auf mich gehört. Sie haben uns wie Müll weggeschmissen.» Andere waren nicht in der Lage, ihre nicht gezahlten Löhne einzufordern oder ihr Hab und Gut zurückzuholen. Wir haben auch Fälle dokumentiert, in denen unbegleitete Kinder im Iran verhaftet wurden.

Wie finden die Abschiebungen statt?

Mehrere Befragte berichteten von körperlicher Gewalt während der Festnahme und Inhaftierung. Ein Mann erzählte uns, dass die Polizei frühmorgens seine Tür eintrat und ihn schlug, bevor sie ihn nach draussen zerrte. Andere beschrieben, dass sie in überfüllten Einrichtungen wie Tapeh Tambaku in der Nähe von Teheran festgehalten wurden, wo Schläge und Misshandlungen an der Tagesordnung gewesen seien. Ein Rückkehrer erzählte uns, er habe miterlebt, wie drei Männer in der Haftanstalt durch Schläge starben.

Die Sorgen der abgeschobenen Afghanen

Box aufklappen Box zuklappen

Viele Abgeschobene berichten, dass ihnen der Verlust ihrer Wohnung, die unbezahlten Löhne, aber auch die beschlagnahmten Mietkautionen grosse Sorge bereiteten. Aber auch die Ungewissheit darüber, wohin sie gehen oder wie sie in Afghanistan überleben können, belaste die Menschen, sagt Zahra Nader.

«Ein Abgeschobener sagte uns: ‹Selbst wenn ich nach Mazar gehe, habe ich keine Bleibe. Was haben wir nach 15 Jahren als Flüchtlinge?›» Vor allem Frauen würden sich Sorgen um ihre Mobilität und Sicherheit machen. «Viele von ihnen können ohne einen männlichen Vormund nicht legal innerhalb Afghanistans reisen, was es fast unmöglich macht, in ihre ursprüngliche Provinz zurückzukehren oder Hilfe zu erhalten», so Nader.

Wo kommen die Betroffenen in Afghanistan an?

Die meisten Deportierten kommen über Islam Qala in Herat oder Pul-e Abrisham in der Provinz Nimruz nach Afghanistan. Sie werden in der Regel mit Bussen aus iranischen Gefangenenlagern gebracht, oft nach langen Fahrten unter schlechten Bedingungen. Wir haben von Bussen ohne Klimaanlage bei extremer Hitze gehört, von Menschen, die ohne Nahrung oder Wasser auskommen müssen und gezwungen werden, für Wasser oder für die Rückgabe beschlagnahmter Handys Bestechungsgelder zu zahlen.

Wie ist die Situation für die Betroffenen, wenn sie in Afghanistan ankommen?

Die Aufnahmezentren in Herat und Nimruz sind überlastet. Die Internationale Organisation für Migration und einige lokale NGOs bieten minimale Hilfe an, aber viele erhalten nur wenig oder gar keine Hilfe. Viele haben kein Geld, keine Habseligkeiten und keine Dokumente. Einigen Müttern wurde die Grundversorgung verweigert, weil sie keinen männlichen Vormund hatten.

Grenzbeamte bestätigten, dass einige Menschen während oder unmittelbar nach der Abschiebung an Hitze und Durst gestorben sind.

Wir wurden Zeuge von chaotischen Szenen an den Grenzen, von Familien, die in der Hitze ohnmächtig wurden, von weinenden Babys ohne Milch und von Menschen, die hungrig und dehydriert ankamen. Am 2. Juli kamen beispielsweise über 1130 Familien bei Temperaturen von über 50 Grad in Nimruz an. Afghanische Grenzbeamte bestätigten, dass einige Menschen während oder unmittelbar nach der Abschiebung an Hitze und Durst gestorben sind.

So reagieren die Taliban

Box aufklappen Box zuklappen

«Die Taliban haben behauptet, sie würden Rückkehrern Transportmöglichkeiten und kurzfristige Unterkünfte zur Verfügung stellen, aber unsere Berichte zeigen, dass diese Hilfe in den meisten Fällen uneinheitlich oder gar nicht vorhanden ist, insbesondere für Frauen», erzählt Zahra Nader. In Wirklichkeit gebe es kein zuverlässiges Unterstützungssystem, und die Deportierten, vor allem Frauen, seien weitgehend auf sich allein gestellt.

Was erwartet die Menschen in Afghanistan?

Die Abgeschobenen kehren in ein Land zurück, das sich in einer schweren humanitären Krise befindet. Rund 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Es gibt kaum Arbeitsplätze, und Frauen unterliegen strengen Beschränkungen der Taliban-Herrschaft. Ohne einen männlichen Verwandten können sie nicht arbeiten, reisen oder Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie der Gesundheitsversorgung erhalten.

UNO: Über 1.2 Millionen Afghanen haben den Iran verlassen

Box aufklappen Box zuklappen

Unter dem Druck iranischer Behörden haben seit Jahresbeginn mehr als 1.2 Millionen Menschen den Iran in Richtung Afghanistan verlassen, berichtete die UNO vergangene Woche. In der Zwischenzeit dürfte die Zahl weitaus höher sein. Etwa die Hälfte davon sei zwangsweise abgeschoben worden, sagte Babar Baloch, ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Genf. In den vergangenen Wochen nahm der Exodus demnach drastisch zu. Seit Anfang Juni seien mehr als 600'000 Menschen aus dem Iran in Afghanistan angekommen, hiess es. 

Im Krieg zwischen Israel und Iran hatten Sicherheitsbehörden Repressionen gegen Afghaninnen und Afghanen verschärft. Hunderte seien mit dem Vorwurf der Spionage oder Sabotage festgenommen worden, berichteten Staatsmedien. Nach dem Krieg hatte der Iran zudem angekündigt, alle Ausländer ohne gültigen Aufenthaltstitel auszuweisen.

Bereits vor der militärischen Eskalation gab es hitzige Debatten im Land über die hohe Zahl geflüchteter Menschen aus dem benachbarten Afghanistan, die ihre Heimat nach der Machtübernahme der Taliban vor knapp vier Jahren in Scharen verlassen hatten. Der Iran sei weltweit das wichtigste Gastland für afghanische Flüchtlinge, hiess es vom UNHCR, das im April von etwa 3.5 Millionen Afghaninnen und Afghanen im Iran berichtet hatte.

SRF 4 News aktuell, 10.7.2025, 6:50 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel