Wie jedes Jahr, immer zum Ende des schiitischen Ashura-Fests, marschierten heute tausende Hisbollah-Anhänger durch den Beiruter Stadtteil Dahye, die Hochburg der Hisbollah im Süden der Stadt.
Und doch ist es anders dieses Jahr. Die jüngste Krise zwischen Hisbollah und Israel ist allgegenwärtig. Aus den TV-Apparaten dröhnt die Stimme von Hassan Nasrallah, dem Chef der libanesischen Schiiten-Miliz. Sollte Israel den Libanon angreifen oder dessen Hoheitsgebiet verletzen, «werden wir mit den nötigen Mitteln antworten, um die Souveränität und Würde des Libanon zu schützen», sagt er.
Zwar dauert es noch mindestens zwei Stunden bis zur grossen Parade, doch Jamar Qaraqi steht bereits bereit. Es ist heiss, obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen ist.
Wir werden Tag für Tag stärker.
«Uns geht es heute mit unserem Feind Israel genauso wie Hussein vor 1300 Jahren. Unsere Märtyrer sterben genauso wie damals die Märtyrer starben. Aber wir werden nicht ruhen, bis wir die Bestimmung von Imam Hussein erreicht haben.» Wie stark die schiitische Hisbollah-Bewegung heute ist, ist für ihn keine Frage: «Wir werden Tag für Tag stärker.»
Die Hisbollah ist heute viel grösser
Die Hisbollah ist einer der grossen Gewinner des Syrien-Krieges. Als verlängerter Arm des Iran hat die Miliz mitgeholfen, Präsident Assad an der Macht zu halten. Das hat ihr Selbstbewusstsein noch gesteigert. «Es gibt Leute innerhalb der Organisation, die denken, dass ihre militärische Stärke formidabel sei und dass sie gegen Israel einen sicheren Sieg erreichen könnten.»
Mohanad Hage Ali ist Politologe beim Carnegie Zentrum für den Nahen Osten. Er hat ein Buch über die Hisbollah geschrieben und kennt sich mit dem Innenleben der Organisation aus. «Die Hisbollah ist heute eine andere Organisation als noch 2006 beim letzten Krieg mit Israel. Sie ist heute viel grösser.» Das führe auch zu mehr Streit innerhalb der Miliz: «Die grosse Diskussion innerhalb der Hisbollah ist heute: Was nun? Suchen wir den Konflikt? Was wäre der Ausgang eines Krieges? Und was ist unser Plan für den Tag danach?»
Israels Präventiv-Strategie
Als Israel vor zwei Wochen exakt in dem Viertel in Beirut, in dem die grosse Parade stattfindet, zwei Drohnen zur Explosion bringt und dabei ein Büro beschädigt, das angeblich ins Präzisionsraketen-Programm der Hisbollah eingebunden sein soll, reagiert die Miliz rasch und greift ihrerseits ein israelisches Militärfahrzeug an.
Töte sie bevor sie dich töten, wie sie in Israel sagen.
Für Hage Ali ist es ein Teufelskreis: «Die Hisbollah glaubt, dass wenn sie ihre Raketen-Fähigkeiten ausbaut, dass sie dann Israel abschrecken kann. Und Israel mit seiner Präventiv-Strategie denkt, dass wenn die Hisbollah ihre Kapazität ausbaut, dass es jetzt handeln muss. Töte sie bevor sie dich töten, wie sie in Israel sagen.»
Einen Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt
Die grösste Sorge von Israel ist das iranische Atom-Programm. Gleich danach kommt das Präzisionsraketen-Programm von Irans Helfern in der Region, der Hisbollah im Libanon und in Syrien, und der schiitischen Volksmobilisierungs-Einheiten im Irak. «Jeder israelische Premierminister, ob Netanyahu oder jemand anderer, wird von seinen Geheimdiensten hören: Wir müssen etwas tun gegen diese Präzisionsraketen. Wir müssen hier bombardieren, wir müssen dort töten. Das wiederum führt zu einer Antwort der Hisbollah, und so weiter und so fort.»
Diesen Teufelskreis kann laut Hage Ali nur eine Macht von aussen durchbrechen. Doch diese ist momentan kaum auszumachen.