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Israelischer Truppenabzug «Der internationale Druck dürfte eine Rolle gespielt haben»

Das israelische Militär hat seine Bodentruppen aus dem Süden des Gazastreifens abgezogen. Lediglich eine Brigade bleibe dort, sagte ein Armeesprecher. Die Meldung kommt überraschend, zuletzt sprach die israelische Regierung von einem Grosseinsatz in Rafah, an der Grenze zu Ägypten – nun also der Rückzug. Die freie Journalistin Inga Rogg, die aus Jerusalem berichtet, erklärt die Hintergründe dieser Ankündigung.

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

Wie begründet das israelische Militär diesen doch überraschenden Schritt?

Inga Rogg: Die Armee sagt, sie habe ihre Ziele konkret um die Stadt Chan Yunis erreicht. Die Hamas sei dort zerstört, es seien Tausende Hamas-Kämpfer getötet worden – und deshalb brauche es die Kampfeinheiten dort nicht mehr. Das ist die offizielle Begründung des Militärs.

Das Militär sagt also, es habe seine Ziele erreicht. Ist das tatsächlich so?

Gemessen an den Zielen, die Regierungschef Benjamin Netanjahu gesetzt hat: Nein. Er hat drei Ziele genannt: Es müsse einen totalen Sieg geben, also die Hamas müsse komplett zerstört werden. Der Gazastreifen dürfe nie wieder eine Bedrohung für Israel werden.

Ein Vertreter der israelischen Armee sagte: Das Ziel der Geiselbefreiung haben wir nicht erreicht.

Und das dritte Ziel: Die Geiseln müssten befreit werden. Und dem hat die Armee jetzt widersprochen. Ein Vertreter der Armee sagte: Dieses Ziel haben wir nicht erreicht.

Es gab in den letzten Wochen auch sehr viel Druck aus dem Ausland. Angesichts der katastrophalen humanitären Situation im Gazastreifen. Kann auch das ein Grund für den Truppenrückzug sein?

Das könnte durchaus sein. Sie haben es gesagt, der Druck aus dem Ausland war stark. Vor allen Dingen seitens der Amerikaner wurde er zusehends stärker. Die Amerikaner haben letzte Woche ja erstmals indirekt gedroht, ihre Politik zu überdenken, sollte Israel nicht mehr humanitäre Hilfe ins Land lassen. Also die katastrophale humanitäre Lage ist ein Streitpunkt.

Israels Armee und die Regierung erklären, der Druck seitens der USA habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.

Ein anderer ist aber auch der Militäreinsatz. Da gab es auch Kritik daran – und zwar insofern, als es seitens des Pentagons hiess, so wie Israel vorgeht, indem es massiv zivile Ziele bombardiert, könne man die Hamas nicht bekämpfen. Es brauche dazu gezielte Einsätze, sprich Einsätze von Spezialeinheiten. Insofern dürfte das durchaus eine Rolle gespielt haben. Wobei die Armee und die Regierung erklären, der Druck seitens der USA habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.

Was bedeutet jetzt dieser heutige Truppenabzug für den weiteren Kriegsverlauf?

Das muss man sicher abwarten. Die Armee hat auch erklärt, wenn es notwendig sein sollte, dann sei man für weitere Einsätze bereit. Diese könnte es also geben. Auf der anderen Seite ist es so, wenn dann natürlich mal die Soldaten abgezogen sind und wir gleichzeitig diesen Druck aus dem Ausland, vor allen Dingen seitens der USA sehen, dann ist durchaus die Frage, ob der Krieg weitergeführt werden kann, so wie er bisher geführt wurde. Und ein Hinweis darauf ist vielleicht auch eine Stellungnahme von Netanjahu, der sagte: Wir sind nur noch einen Schritt vom Sieg entfernt.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 07.04.2024, 18:00 Uhr ; 

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