Die Karriere von Rinat Tuhvatshin hätte auch anders verlaufen können. Zunächst war er Arzt. Erst später wechselte er in den Journalismus. «Als Mediziner konnte ich Leben retten. Als Journalist kann ich mein Land und die kirgisische Gesellschaft gesünder machen», begründet er seinen Wechsel. Tuhvatshin sagt es, wie er alles sagt: völlig nüchtern und ohne damit zu prahlen.
Doch am Anfang war da nichts: «Als mein Partner und ich 2006 das Medienunternehmen Kloop gründeten, stellten wir fest: Es gab in Kirgistan überhaupt keine qualifizierten, unabhängigen Journalistinnen und Journalisten.» Deshalb gründeten die beiden zunächst eine Journalismusschule. «Dort lehrten wir, was es brauchte, um uns vom sowjetisch geprägten Berufsverständnis zu verabschieden.»
Finanziert wird Kloop über Crowdfunding und Donatoren, hauptsächlich westlichen, darunter die Open-Society-Stiftung von George Soros. Man suche möglichst viele Geldgeber, um nicht von einigen wenigen abhängig zu sein. Ein kommerzielles Geschäftsmodell sei leider unrealistisch. Die Regierung setze Kunden konsequent unter Druck, damit sie bei Kloop keine Werbung schalten.
Im Regime geben der Chef des Sicherheitsapparates und der Präsident den Takt an. Während sie Radio, Fernsehen und Zeitungen kontrollieren, entstand online eine erstaunlich vielfältige Medienlandschaft. Kloop spielt da die Schlüsselrolle. Es publiziert auf Russisch und Kirgisisch und betreibt eine Webseite für Aktuelles, Reportagen und Recherchiergeschichten. Von unter Vierzigjährigen wird es sehr stark genutzt, auch via soziale Medien.
Kloop erhält bedeutendsten Medienfreiheitspreis
Und nun erhält Kloop vom International Press Institute (IPI) – dem auch SRF angehört – den Preis als Weltpionier der Medienfreiheit – den IPI Free Media Pioneer Award. Dieser Investigativjournalismus liege im öffentlichen Interesse und könne global inspirieren, erklärte die Laudatorin.
Die Auszeichnung stärkt das Selbstbewusstsein meiner jungen Redaktion.
Die Auszeichnung ist für Rinat Tuhvatshin nicht nur erfreulich, sondern auch ausgesprochen nützlich: «Sie stärkt das Selbstbewusstsein meiner jungen Redaktion, die unter grossem Druck des Machtapparates arbeitet. Zudem macht diese internationale Anerkennung es für das Regime schwieriger, Kloop gegenüber der Bevölkerung weiterhin als unjournalistisch zu diffamieren.»
Momentan versucht das Regime, Kloop gleich ganz zu liquidieren. Die Anschuldigungen der Behörden klingen für Aussenstehende bizarr: Die Informationsplattform schade durch kritische Berichte dem Ruf der Regierung. Ausserdem führe kritisches Denken zu Geisteskrankheiten. Das behauptete im Gerichtssaal auch eine von der Obrigkeit aufgebotene Psychologin. Kloop forderte, sie möge doch bitte wenigstens einen einzigen Patienten zeigen, der dieses Schicksal erlitten habe.
Rinat Tuhvatshin und seine Leute lernten damit leben, dauernd wirtschaftlich, psychisch oder physisch bedroht zu sein. Erwähnen tut er das erst auf Nachfrage. Und sagt ganz trocken: «Mittlerweile scheint der Staat zu fast allem bereit, um Kloop zum Schweigen zu bringen.»
Aufgeben ist keine Option
Kirgistan war mal anders. Eine Insel der Demokratie in einem rundum diktatorischen Umfeld in Zentralasien, eingerahmt von Russland und China. Dieses Kirgistan wünscht sich Tuhvatshin zurück: «Und deshalb arbeiten wir ganz einfach weiter.» Trotz allem Druck, trotz aller Drohungen.