Frankreich führt einen freiwilligen Militärdienst ein. Schon im nächsten Jahr sollen die ersten 3000 Französinnen und Franzosen zwischen 18 und 25 Jahren den sogenannten Service national beginnen. Die Jugend sehne sich nach Engagement, sagt Präsident Emmanuel Macron. Sie sei bereit, sich für das Land einzusetzen. Tatsächlich suche die junge Generation nach Wegen, sich zu engagieren, sagt Anne Muxel, Soziologin und Forschungsdirektorin am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris.
SRF News: Sie haben das Bedürfnis junger Menschen nach Engagement untersucht. Warum will sich die junge Generation engagieren?
Anne Muxel: Ich beobachte seit längerem, dass die Jugend, insbesondere in Frankreich, aber auch in Europa – anders als oft behauptet – nicht demobilisiert oder entpolitisiert ist. Vielmehr versuchen junge Menschen, Möglichkeiten des Engagements zu finden, um sich in die Gesellschaft einzubringen. Wir erleben ein Wiederaufleben des Ehrenamts, des Engagements in Vereinen, des bürgerschaftlichen und des militärischen Engagements. All diesen Engagements ist gemeinsam, dass sie den Bedürfnissen der Jugend entsprechen, sich in der Gesellschaft nützlich zu fühlen, in der sie ihren Platz finden müssen.
Fast 60 Prozent der 18- bis 25-Jährigen sagen, dass sie im Kriegsfall bereit wären, in die Armee einzutreten. Was sind die Hauptmotive?
Die Jugendlichen sind sich der aktuellen Bedrohungen sehr bewusst. Die Anschläge 2015 auf französischem Boden – etwa Bataclan oder Charlie Hebdo – haben sie stark geprägt.
Eine Mehrheit der Jugendlichen glaubt, dass Frankreich in den kommenden Jahren in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sein wird.
Hinzu kommen die aktuellen Kriege: Die Jungen sind sich bewusst, dass sie Teil grosser geopolitischer Umwälzungen sind. Eine Mehrheit von ihnen glaubt, dass Frankreich in den kommenden Jahren in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sein wird.
Inwiefern schafft die Aussicht auf eine Unterkunft, Verpflegung und eine Vergütung von mindestens 800 Euro pro Monat einen Anreiz?
Das hilft natürlich. In Frankreich waren die finanzielle Unabhängigkeit und die Wohnsituation junger Menschen schon immer ein Problem. Die Möglichkeit, untergebracht und verpflegt zu werden und dabei noch 800 Euro zu verdienen, ist ein klarer Anreiz.
Welche Unterschiede sehen Sie innerhalb der jungen Generation bei der Bereitschaft, sich in der Armee zu engagieren?
Es gibt Unterschiede, aber sie sind kleiner geworden. Traditionell standen junge Menschen aus dem rechten politischen Lager dem Militär deutlich positiver gegenüber, während Linke eher antimilitaristischer eingestellt waren. Diese Spaltung existiert noch, ist aber schwächer: Rund 70 Prozent der jungen Menschen aus dem rechten Lager sagen, dass sie zum Militär gehen würden, aber auch fast jeder Zweite aus dem linken Lager.
Bei der jüngeren Generation gibt es eine Tendenz zur Rückkehr zum Patriotismus.
Auch zwischen den Geschlechtern gibt es Unterschiede: Männer interessieren sich mehr für militärische Themen und wären eher bereit, in den Krieg zu ziehen. Aber auch hier hat sich der Abstand verringert. Heute sagt fast jede zweite junge Frau, dass sie sich zum Militärdienst melden würde, wenn das Land verteidigt werden müsste. Diese Annäherung zeigt, dass es bei der jüngeren Generation eine Tendenz zur Rückkehr zum Patriotismus gibt.
Das Gespräch führte Zoé Geissler.