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Justiz im Dilemma «Der spanische Richter muss sich fragen, was er angerichtet hat»

Separatistenführer Carles Puigdemont ist vor deutschem Gesetz kein «Rebell» – und mit Auflagen seit kurzem wieder frei.

Der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont kann in Spanien nicht wegen Rebellion angeklagt werden. Das ist nach dem Urteil des Oberlandesgerichts im deutschen Schleswig-Holstein klar. Er wird allenfalls noch wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder ausgeliefert. Nur dafür könnte ihm Spanien noch den Prozess machen. Die spanische Zeitung «El Mundo» kommentiert heute: Der Richter in Deutschland wisse vielleicht nicht genau, was er da angerichtet habe. Journalist Hans-Günter Kellner schätzt die schwierige Situation ein.

Hans-Günter Kellner

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Journalist

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Der freie Journalist Hans-Günter Kellner lebt in Madrid und ist Korrespondent für verschiedene Medien.

SRF News: Was bedeutet das Urteil aus Schleswig-Holstein für die spanische Justiz?

Hans-Günter Kellner: Ich würde den Vorwurf von «El Mundo» umdrehen und sagen, der spanische Untersuchungsrichter sollte sich fragen, was er da angerichtet hat. Denn das deutsche Oberlandesgericht hat nur festgestellt, dass Puigdemont keine Gewalt angewendet hat und auch nicht damit gedroht hat, womit der Vorwurf der Rebellion eben nicht mehr haltbar ist. Das ist auch die Meinung vieler spanischer Rechtsexperten. Insofern fällt jetzt tatsächlich die gesamte juristische Argumentation des spanischen Untersuchungsrichters in sich zusammen. Denn die juristische Aufarbeitung des katalanischen Unabhängigkeitsprozesses stützt sich sehr stark auf den Vorwurf der Rebellion.

Was bedeutet das deutsche Urteil für jene 13 von insgesamt 25 Angeklagten, denen Spanien ebenfalls Rebellion vorwirft?

Formaljuristisch bedeutet es vorerst nichts für diese Leute. Wenn Puigdemont denn tatsächlich wegen Veruntreuung ausgeliefert würde, was noch nicht sicher ist, könnte ihn Spanien wegen nichts anderem anklagen. Er ergäbe sich damit die kaum vorstellbare Situation, dass der für den gesamten Unabhängigkeitsprozess und die Vorgänge im letzten halben Jahr höchste Verantwortliche nur wegen Veruntreuung angeklagt würde. Im Gegensatz zu den ihm untergeordneten Ministern und anderen Leuten, die sich wegen Rebellion und damit einer sehr viel schwereren Straftat verantworten müssten.

Wie kommt die spanische Justiz aus diesem Dilemma, nicht alle Beteiligten gleich behandeln zu können?

Sie könnte gegen die übrigen Angeklagten den Vorwurf der Rebellion zurückziehen. Den Vorwurf der Veruntreuung wird sie zudem auch nicht gegen alle stellen können. Es ist also eine sehr schwierige Situation. Spanische Justizkreise überlegen sich, es beim Vorwurf der Aufruhr zu belassen. Das ist ein ähnlicher Paragraph wie die Rebellion, bei dem aber Gewalt keine Voraussetzung ist. Dies wäre auch bei Puigdemont noch möglich, und zwar auch noch während dieses Auslieferungsverfahrens. Doch all diese Winkelzüge würden eher das Bild bestätigen, das sich im Ausland ohnehin schon viele von der spanischen Justiz machen. Nämlich dass hier das Strafrecht überdehnt wird, um die Verantwortlichen für Verfassungsbrüche irgendwie ins Gefängnis zu bekommen.

Das Verhalten der Unabhängigkeitsbefürworter um Puigdemont war tatsächlich sehr schwerwiegend, haben sie doch die gesamte Rechtsordnung Spaniens missachtet. Das muss unterstrichen werden. Aber man muss eben auch sehen, dass das Strafrecht dieses Verhalten nicht vorgesehen hat. Darum ist es auch nicht zu bestrafen. Ich denke, je eher sich alle damit abfinden, umso besser.

Es bleibt also primär der politische Weg?

Ja. Der wird aber sehr schwierig sein. Es wurde ja immer wieder die Forderung nach einem Dialog laut. Allerdings bedeutete Dialog für Puigdemont immer nur, dass er ein Unabhängigkeitsreferendum haben möchte. Das aber lässt die spanische Verfassung gegenwärtig nicht zu. Es müsste also erst einmal zur Deeskalation beigetragen werden. Das könnte die spanische Regierung machen, indem sie etwa auf die Staatsanwaltschaft einwirkt. Aber eben auch Puigdemont selbst. Ein gutes Zeichen wäre zum Beispiel, wenn auch die Unabhängigkeitsbewegung anerkennen würde, dass sich auch die Politiker an die geltenden Gesetze halten müssen und eine Verfassung auch Spielregeln vorgibt, die man zwar verändern, aber nicht einfach aufheben kann. Das würde Vertrauen aufbauen. Das wäre die Grundlage für jede politische Lösung. Der grosse Wurf wäre nach meiner Einschätzung eine echte Föderalismusreform, als einziger Weg zu einer dauerhaften Lösung.

Sie sehen also auch die Separatisten in der Pflicht?

Auf jeden Fall. Man muss anerkennen: Auch wenn das Verfahren jetzt strafrechtlich vielleicht schwer zu verfolgen ist, müssen sich auch Politiker an Spielregeln halten und die Gesetze einhalten. Diese sind in dem Unabhängigkeitsprozess verletzt worden. Es wäre gut, wenn die Unabhängigkeitsanhänger jetzt diesen Schritt machen würden und sagen: Wir halten uns jetzt an die geltenden Gesetze, auch im Bewusstsein, dass sich Gesetze auch verändern lassen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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