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Kampf gegen Antisemitismus «Es braucht eine religionspolitische Zeitenwende»

Der Krieg in Nahost berührt in einem besonderen Mass auch Deutschland. Auf den Strassen zeigten Gegner Israels offen ihren Antisemitismus. Eren Güvercin ist Journalist und Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft, einem Zusammenschluss von Musliminnen und Muslimen, die sich als Teil ihrer jeweiligen europäischen Heimatgesellschaft verstehen. Er fordert eine religionspolitische Zeitenwende.

Eren Güvercin

Journalist, Mitgründer Alhambra-Gesellschaft

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Eren Güvercin studierte Rechtswissenschaften in Bonn und arbeitet als freier Journalist und Autor für verschiedene Medien. Er ist Mitgründer der liberalen Alhambra-Gesellschaft, einem Zusammenschluss von Musliminnen und Muslimen, die sich gemäss eigenen Angaben als Teil ihrer jeweiligen europäischen Heimatgesellschaft verstehen. Zudem ist er Mitglied im Beirat des «Forum für offene Religionspolitik e.V.».

SRF News: Bedeutete der Terrorangriff der Hamas auf Israel auch für Deutschland eine Zäsur?

Eren Güvercin: Ich würde sagen, ja. Auf den Terroranschlag folgte eine Vielzahl antisemitischer Übergriffe in Deutschland. Laut der Bundesinnenministerin Nancy Faeser wurden seit dem 7. Oktober mehr als 3500 antisemitische Straftaten registriert. Einerseits ist die existenzielle Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland gestiegen, andererseits emotionalisiert der Konflikt die muslimische Gemeinschaft. Seit dem 7. Oktober kam es zu Pro-Palästina-Demonstrationen, bei denen auch von islamistischer Seite antisemitische Parolen gerufen wurden. Das belastet das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland.

Was löst die Hetze gegen Jüdinnen und Juden bei Ihnen als gläubigem Muslim aus?

In erster Linie Wut. In Hessen sind zum Beispiel rund 3000 Islamisten auf die Strasse gegangen und haben unter anderem das Kalifat für Deutschland gefordert. Solche Kundgebungen sind problematisch. Die aktuelle Situation wird missbraucht, um ihre Ideologie zu verbreiten. Eine Herausforderung für uns deutsche Musliminnen und Muslime. Wir müssen unsere Stimme erheben, um die Deutungshoheit über unseren Glauben nicht islamistischen Akteuren zu überlassen.

Brandenburger Tor im Hintergrund mit den hellen Säulen, davor Menschenmenge mit Schild «Teilen statt spalten»
Legende: An einer Demonstration in Berlin rufen Teilnehmende dazu auf, gegen Terror, Hass und Antisemitismus aufzustehen (Bild: 22.10.2023). KEYSTONE / DPA / Monika Skolimowska

Antisemitismus gibt es in allen Teilen der Gesellschaft, auch in migrantischen Milieus. Sie sind der Meinung, dass es wichtig ist, über den muslimischen Antisemitismus zu sprechen, und dass dies Musliminnen und Muslime tun. Warum?

Kaum eine gesellschaftliche Gruppe kann von sich behaupten, dass sie nicht für antisemitische Ressentiments empfänglich sei. Es muss im Eigeninteresse der muslimischen Bevölkerung sein, dass wir uns kritisch mit dem eigenen Milieu auseinandersetzten. Junge brauchen Vorbilder. Selbstbewusste muslimische Gläubige, die aus einer muslimischen Perspektive heraus den Antisemitismus bekämpfen.

Die grossen muslimischen Verbände versuchen den muslimischen Antisemitismus zu verharmlosen, es gibt keine tiefgehende Auseinandersetzung damit.

Findet diese Auseinandersetzung statt?

Leider zu wenig. Die grossen muslimischen Verbände bezeichnen sich als Religionsgemeinschaften. Als solche müssen sie auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Ihre Kommunikation seit dem 7. Oktober ist für mich als Muslim beschämend. Sie versuchen den muslimischen Antisemitismus zu verharmlosen, es gibt keine tiefgehende Auseinandersetzung damit.

Wird der berechtigte Kampf gegen Antisemitismus missbraucht, um Ressentiments gegen Musliminnen und Muslime zu schüren?

Es gibt politische und gesellschaftliche Akteure, die vom rechten Antisemitismus ablenken und den muslimischen Antisemitismus in den Fokus rücken wollen. Wir müssen uns als Gesellschaft darüber im Klaren sein, dass Antisemitismus in muslimischen Milieus nicht durch das Schüren antimuslimischer Vorurteile bekämpft werden kann. Akteure, die antisemitische Stereotype in der muslimischen Community verbreiten, müssen angesprochen und kritisiert werden. Die muslimische Gesellschaft darf nicht kollektiv stigmatisiert werden. Nicht alle Musliminnen und Muslime haben ein Problem mit Jüdinnen und Juden oder mit Israel.

Das Gespräch führte Simone Hulliger. Mitarbeit Géraldine Jäggi.

Tagesgespräch, 22.11.2023, 13 Uhr ; 

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