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Kampf gegen Corona in Afrika WHO-Expertin: «Erfahrung aus früheren Epidemien ist ein Vorteil»

Während die Coronafälle in der Schweiz und anderen europäischen Länder wieder rasant in die Höhe schnellen, sind die Zahlen in Afrika seit Juli rückläufig. In Afrika leben 17 Prozent der Weltbevölkerung, die Corona-Toten dort machen aber nur 3.6 Prozent der Pandemie-Opfer aus. Die Gründe dafür sind vielfältig, erläutert die WHO-Regionaldirektorin für Afrika, Matshidiso Moeti.

Matshidiso Moeti

Afrikas Regionaldirektorin bei der WHO

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Matshidiso Moeti ist seit 2015 Regionaldirektorin für Afrika bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die gebürtige Botswanerin ist die erste Frau auf diesem Posten. Seit über 20 Jahren ist sie bei der WHO und hat zu allen grossen Epidemien auf dem Kontinent gearbeitet, zu HIV/AIDS ebenso wie zu Ebola und Covid-19.

SRF: Ist Afrika in Bezug auf das Coronavirus wirklich so viel besser dran als jede andere Region der Welt?

Moeti: Nur in der westpazifischen Region gibt es weniger Fälle und Todesfälle als in Afrika. Seit Juli ist in Afrika ein Abwärtstrend zu beobachten, aber ich muss sagen, dass sich dieser Trend in den letzten Wochen verlangsamt hat. Es ist auch wichtig zu betonen, dass sich die Pandemie in verschiedenen Ländern Afrikas unterschiedlich entwickelt.

Schlussendlich hat die Bevölkerung gut mitgemacht.

Worauf sind die seit Monaten rückläufigen Corona-Fallzahlen in Afrika zurückzuführen?

Sobald die afrikanischen Länder Fälle verzeichneten, haben die Regierungen reagiert. Einige von ihnen haben umfassende Lockdowns verhängt. Dies war mit erheblichen wirtschaftlichen Kosten verbunden. Doch die Regierungen verstanden, dass sie Zeit brauchten, um ihre schwachen Gesundheitswesen aufzustocken. Gleichzeitig gab es auf dem Weltmarkt Probleme, Testgeräte und Testkits zu beschaffen oder auch Schutzausrüstung, einschliesslich Masken. In vielen afrikanischen Ländern haben sofort lokale Schneider die Maskenproduktion übernommen. Somit hatten die Menschen schnell Zugang zu Masken zu erschwinglichen Preisen. Und schlussendlich hat die Bevölkerung gut mitgemacht.

Welche strukturellen Faktoren spielten eine positive Rolle?

Wenn Sie sich die Anzahl der internationalen Flüge pro Tag ansehen, ist sie nicht so hoch wie in Europa oder Asien. Auch innerhalb der afrikanischen Staaten ist das Reisen schwieriger, die Strassen sind nicht gut, das Schienennetz nicht ausgebaut. Und schliesslich lebt die Mehrheit der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent auf dem Land, dort ist die Bevölkerungsdichte geringer.

Doch nicht nur die Corona-Fallzahlen sind tiefer in Afrika als in anderen Weltgegenden. Auch die Anzahl der Corona-Toten ist tief…

Hier macht sicher die Bevölkerungsstruktur einen Unterschied. Wir haben eine junge Bevölkerung in Afrika. Komplikationen und Todesfälle betreffen ältere Menschen mehr als junge.

Ich denke, dass die Massnahmen frühzeitig eingeführt wurden, hat den Unterschied ausgemacht.

Es gibt Theorien, dass Afrikanerinnen und Afrikaner aufgrund anderer Coronaviren bereits ein besseres Immunsystem haben.

In Afrika werden wir sicher mit vielen Krankheitserregern konfrontiert. Ob das einen Einfluss hat, wissen wir nicht. Es gibt sogar Spekulationen, dass es einen genetischen Grund gibt, weswegen Afrikanerinnen und Afrikaner resistenter sein sollen. Derzeit finde ich es aber vor allem wichtig, dass wir die Rolle der Regierungen hier auf dem Kontinent anerkennen.

Die Coronamassnahmen der afrikanischen Regierungen sind also der ausschlaggebende Faktor?

Nein, ich denke, es ist eine Kombination von Faktoren. Aber ich denke, dass die Massnahmen frühzeitig eingeführt wurden, hat den Unterschied ausgemacht. Dabei war die Erfahrung aus früheren Epidemien von grossem Vorteil. Wir hatten wegen des zeitgleichen Ebola-Ausbruchs in der Demokratischen Republik Kongo bereits ein Temperatur-Screening und eine Personaldatenaufnahme an den Flughäfen.

Die Demonstrationen gegen die Coronamassnahmen sind vielleicht eine Lehre für die europäischen Regierungen, dass besser mit der Bevölkerung kommuniziert werden sollte.

Was könnte Europa denn von Afrika lernen in Bezug auf das Coronavirus?

Was gelernt werden muss, ist, was es zur Bewältigung einer solchen Situation braucht. Wie kann man die nötigen Mechanismen schnell und effektiv aktivieren, die Kohärenz zwischen nationaler und regionaler Ebene garantieren? Wenn wir nun an einigen Orten in Europa Demonstrationen gegen die Coronamassnahmen sehen, dann ist dies vielleicht eine Lehre für die Regierungen, dass besser mit der Bevölkerung kommuniziert werden sollte.

Selbst wenn in Europa die nationalen Gesundheitssysteme über ausreichende Ressourcen verfügen, gelten dieselben Grundsätze für die Überwachung und das Management von Ausbrüchen wie in Afrika. Die afrikanischen Länder haben sich inzwischen daran gewöhnt und Mechanismen für die Bewältigung von solch länderübergreifenden Gesundheitsnotfällen eingeführt. Auch wenn auch bei uns grosse Epidemien eine Seltenheit sind.

Das Gespräch führte Anna Lemmenmeier.

Rendez-vous, 23.10.2020, 12.30 Uhr ; 

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