Zum Inhalt springen

Header

Video
Neue Spannungen zwischen China und Indien
Aus Tagesschau vom 17.06.2020.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 26 Sekunden.
Inhalt

Kaschmir-Grenzkonflikt «An einem Flächenbrand ist weder China noch Indien interessiert»

In der Grenzregion Ladakh am Himalaya ist es zwischen indischen und chinesischen Soldaten zu einer Auseinandersetzung mit Schlagwaffen gekommen. Indien spricht von mindestens 20 getöteten eigenen Soldaten, China macht keine offiziellen Angaben zu Opfern. Beide Nachbarn weisen die Schuld für den tödlichen Zwischenfall dem jeweils anderen zu. Für Asienexperte Christian Wagner stehen aber beide Konfliktparteien in der Verantwortung.

Christian Wagner

Christian Wagner

Asien-Experte

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Christian Wagner forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zu aussen- und sicherheitspolitischen Fragen in Südasien. Sein Forschungsschwerpunkt ist Indien.

SRF News: Wie kann die aktuelle Auseinandersetzung eingeschätzt werden?

Christian Wagner: Der Konflikt zwischen Indien und China im Kaschmir-Gebiet geht bis auf die Kolonialzeit zurück. Seit jeher gibt es unterschiedliche Interpretationen über die Grenzverläufe in der Region, was immer wieder zu kleineren Konfrontationen geführt hat. Mit dem direkten Zusammenstoss der Konfliktparteien ist aber eine neue Dimension erreicht.

Was ist der Auslöser für die Zusammenstösse im Kaschmir-Gebiet?

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen hat Indien im letzten Jahr den Status des Bundesstaates Kaschmir geändert. Jetzt ist die Region Unionsterritorium Indiens ohne Souveränität. In der Folge hat Indien die Grenzbefestigungen zu China ausgeweitet. China beobachtet diese Entwicklung sehr kritisch und will das nicht einfach so hinnehmen. Zum anderen nutzt China nun auch die Coronakrise, um die Gebietsansprüche in der Region auszuweiten.

Mit welcher Begründung erhebt China überhaupt Anspruch auf das Gebiet?

Das hat historische Gründe. China hat bereits im Jahr 1962 Teile des Grenzgebiets besetzt. Seither herrscht Unklarheit über den Verlauf der Grenzen. Nun fühlte sich China offenbar bedroht von der Agenda der indischen Regierungspartei. Diese hat mit der generellen Abschaffung der Sonderprivilegien für die Bundesstaaten indirekt ihren Einfluss in der Kaschmir-Region ausgeweitet. Das hat sicherlich zu dieser Konfrontation beigetragen.

Was ist daran so gefährlich?

Es ist die grösste Krise zwischen den beiden Ländern in den letzten Jahrzehnten. Zum ersten Mal seit langem sind wieder Tote zu beklagen. In der Vergangenheit kam es zwar immer wieder zu Grenzübertretungen von beiden Seiten. Nun passierte dies aber gleich in mehreren Zonen. Das heisst, wir haben eine unübersichtlichere Konfliktlage als bisher. Ich denke aber trotzdem nicht, dass es nun zu einem Flächenbrand kommt. Daran können weder China noch Indien interessiert sein.

Der Grenzkonflikt zwischen China und Indien: Eine Chronologie

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: keystone

September 1962: Der Grenzkrieg beginnt, nachdem China Aksai Chin (Nordost-Kaschmir) besetzt und im Osten im heutigen indischen Unionsstaat Arunachal Pradesh weit vorrückt. China gewinnt den kurzen Krieg, die Beziehungen beider Länder verschlechtern sich und sind seither von Misstrauen geprägt.

1993: China und Indien unterzeichnen ein Grenzabkommen, das einen Waffenstillstand beider Nationen besiegeln soll.

11.4.2005: Eine Vereinbarung über eine «Road Map» zur Beendigung des Grenzkonflikts tritt in Kraft. Beide Seiten sprechen von einer strategischen Partnerschaft.

06.07.2006: Mit der Wiederaufnahme des Grenzhandels am Nathu-La-Pass nach 44 Jahren besiegelt China zugleich die Anerkennung der Eingliederung von Sikkim als indischer Bundesstaat, der an Bhutan, Tibet und Nepal grenzt.

Sommer 2017: Ein Strassenbau-Projekt Chinas auf Territorium, das auch von Bhutan beansprucht wird, ruft Bhutans Verbündeten Indien auf den Plan. Zwei Monate lang stehen sich indische und chinesische Truppen bei der Hochebene Doklam mit entsicherten Waffen gegenüber, bevor sich beide Seiten in einer Reihe informeller Gipfel auf einen Abzug der Truppen einigen.

31. Oktober 2019: Indien wandelt das Hochplateau Ladakh, das Indien lange Zeit als Teil Kaschmirs beanspruchte, in ein Unionsterritorium um, das nun von Neu-Delhi verwaltet wird.

Mai 2020: Es kommt zu ersten militärischen Zwischenfällen in der Grenzregion Sikkim, weil China eine indische Armeepatrouille an der Nordseite des Pangong-Sees als Provokation auffasst. Bei den Prügeleien und Steinwürfen werden rund 250 Soldaten Chinas und Indiens verletzt.

15. Juni 2020: Tausende Soldaten stehen sich in der Region Ladakh im Himalaja gegenüber. Der Grenzkonflikt eskaliert erneut und endet in einem Gefecht zwischen indischen und chinesischen Soldaten. Das indische Militär erklärt, ranghohe Militärvertreter der beiden Streitkräfte träfen sich, um die Situation zu entschärfen.

16. Juni 2020: Zum ersten Mal seit 1967 kommen im Grenzkonflikt zwischen den zwei bevölkerungsreichsten Ländern der Welt wieder Menschen zu Tode: mindestens 20 indische Soldaten sterben. Auch 43 chinesische Soldaten seien schwer verletzt oder getötet worden, schreibt die indische Nachrichtenagentur ANI. Die Angaben werden von China jedoch nicht bestätigt.

(NZZ, Munzinger, BBC, Wikipedia)

Welche Interessen verfolgen denn die beiden Länder?

China hat einen Hegemonie-Anspruch für Asien, auch wegen der neuen Seidenstrasse. Indien auf der anderen Seite sieht sich seit jeher als gleichwertige Macht und will die eigenen Interessen nicht hinten anstellen. Das Risiko eines offenen Konflikts mit Indien will China dennoch nicht eingehen.

Weshalb nicht?

Man will kaum riskieren, dass Indien sich weiter den USA annähert. Deshalb gehe ich davon aus, dass man wie jeweils in der Vergangenheit eine Lösung finden wird.

Das Gespräch führte Marco Schnurrenberger.

Tagesschau, 17.6.2020, 19:30 Uhr;

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel