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Kaufrechte im Vergleich Konsumwelten: Wo der Kunde wirklich König ist

Verdorrte Pflanze umtauschen? Kein Problem! In Sachen Konsumentenfreundlichkeit sind uns einige Länder voraus. Manche treiben es gar auf die Spitze.

Was läuft aus Konsumentensicht im Ausland besser als in der Schweiz? «Kassensturz» blickt in einer Sondersendung über die Grenze und zeigt: In Sachen Konsumentenfreundlichkeit sind uns einige Länder voraus. Manchmal fast schon übertrieben weit voraus. Drei unterschiedliche Beispiele.

USA: Meinung geändert? Kein Problem – Geld zurück!

Amerikanerinnen und Amerikaner lieben Shopping. Sie schlagen gerne zu und müssen sich dabei auch keine grossen Gedanken machen: Ändert man die Meinung, gibt es das Geld zurück – teilweise lebenslang.

Glaubt man den Versprechen der Anbieter, gibt es praktisch nichts, was man nicht zurückgeben kann. Funktioniert das wirklich so einfach in der Praxis? SRF-Korrespondentin Viviane Manz hat es für «Kassensturz» getestet. Zum Beispiel mit einem Jogging-Shirt. Nach einem Probelauf im Central Park in New York bringt sie es zurück zur Sportkleidermarke Athleta – getragen, verschwitzt und ohne Preisschild. Das Geld gibt es anstandslos zurück.

Ich könnte jeden Tag gratis Kuchen essen.
Autor: Viviane Manz SRF-Korrespondentin, New York

Und weiter geht’s: Nach der Jogging-Runde hat sich Viviane Manz eine Belohnung verdient. Bei Trader Joe’s kauft sie sich einen Kuchen und isst die Hälfte. Den Rest bringt sie zurück: «Dieser Kuchen schmeckt mir nicht, ich möchte ihn zurückgeben.» Kein Problem, schliesslich gewährt Trader Joe’s eine Zufriedenheitsgarantie. Viviane Manz bekommt die Dollars zurück auf die Hand und meint verschmitzt: «So könnte ich jeden Tag gratis Kuchen essen.»

Halb aufgegessener Kuchen
Legende: Hätten Sie den Mut, diesen Kuchen wieder zurückzubringen? SRF

Aber es geht noch besser: Eine der verrücktesten Retouren der USA schaffte es seinerzeit in die Medien. Eine Frau brachte nach Weihnachten ihren verdorrten Christbaum zurück und bekam vom Grossverteiler Costco tatsächlich das Geld zurück.

Das will Viviane Manz auch versuchen. Der Rosenstock, den sie zurückbringen will, bietet einen armseligen Anblick: Sie kaufte ihn im letzten Frühling, nun ist er krank und ausgetrocknet. Die Korrespondentin gräbt ihn aus und marschiert damit in eine Filiale von Home Depot. Der Laden verspricht eine Rückgabefrist von einem Jahr.

Peinlich, für eine vernachlässigte Pflanze Geld zurückzuverlangen.
Autor: Viviane Manz SRF-Korrespondentin, New York

Und tatsächlich: Nachdem sie erklärt, dass sie die Blumen zurückgeben will, kommt ein lockeres «OK» entgegen. Sie bekommt einen Gutschein. Wohl ist Viviane Manz allerdings nicht dabei: «Peinlich, für eine vernachlässigte Pflanze Geld zurückzuverlangen.»

Lohnt sich das für die Läden?

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«Ja», sagt Expertin Marcia Flicker, Lehrbeauftragte für Marketing an der Fordham University in New York. «Amerikanische Detailhändler wollen Vertrauen schaffen, als besonders kundenfreundlich wahrgenommen werden.»

Mit grosszügigen Rückgaberegeln könnten sie das Risiko für Konsumentinnen und Konsumenten minimieren und dafür höhere Preise verlangen. So gehe die Rechnung am Ende auf.

Denn: «Wer weiss, dass man das Gekaufte jederzeit zurückbringen kann, kauft eher. Und weil das Zurückgeben mühsam ist oder eine gewisse Scham überwunden werden muss, bringen viele Leute die Ware kaum zurück, solange sie es nur ein bisschen mögen.»

Sind solche üppigen Rückgabe-Versprechen ein Auswuchs einer konsumgetriebenen Gesellschaft oder vielleicht sogar ein Vorbild für die Schweiz? Für Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz geht das amerikanische Konsumentenrecht zu weit. «Wir müssen in Zukunft überlegter konsumieren, mit solchen Geld-zurück-Garantien erreicht man aber das Gegenteil.»

Reparieren statt wegwerfen: Grossbritannien macht es vor

Seit Frühling 2021 müssen in vielen EU-Ländern Geräte so gebaut werden, dass sie reparierbar sind und Ersatzteile mindestens sieben Jahre zur Verfügung stehen. Damit soll dem Wegwerfwahnsinn getrotzt werden. Vorerst gilt die Verordnung für Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kühlschränke, Wäschetrockner, Computerdisplays und TV-Geräte.

Trotz Brexit hält auch Grossbritannien an dieser Regelung fest und hat auch bei SRF-Korrespondentin Henriette Engbersen die Lust am Reparieren geweckt.

«Kassensturz» reist mit ihr nach Taunton in Südengland, wo sich eines der grössten sogenannten Repair Cafés Grossbritanniens befindet. Im Gepäck: Ein kaputtes Radio und der gute alte Schweizer Mixer, der auch nicht mehr richtig will.

Ich wünschte, ich hätte schon früher von diesem Repair Café gehört, dann hätte ich etliche Haushaltsgeräte nicht entsorgt.
Autor: Rosemarie Kundin im Repair Café Taunton

Der Event findet sechsmal im Jahr statt. Bis zu 40 Tüftler legen Hand an. Lohn gibt es keinen, die Freiwilligen machen aus Überzeugung mit, so wie Chris: «Ich glaube an das Konzept des Reparierens und ich mag den sozialen Aspekt. Eine tolle Veranstaltung!» Und Rosemarie, die sich über ihr repariertes Massage-Fussbad freut, meint: «Ich wünschte, ich hätte schon früher von diesem Repair Café gehört, dann hätte ich etliche Haushaltsgeräte nicht entsorgt.»

Henriette Engbersen versucht ihr Glück bei Stewart: «Hier mein Mixer, der Hebel ist blockiert. Und mit diesem Radio kann ich kein DAB mehr empfangen.»

Die Erfolgsquote unseres Repair Cafés wird sich jetzt verbessern.
Autor: Stephan Lehner Gründer Repair Café Taunton

Die erste Hürde für Stewart: den Mixer öffnen: «Diese Geräte wurden in Windeseile am Fliessband hergestellt. Die Plastikclips klicken schnell ein, lassen sich aber kaum öffnen.» Doch nach einer Stunde hat es Steward geschafft: Der Mixer läuft wieder. Für das Radiogerät bräuchte er mehr Zeit. Aber immerhin: Eine Erfolgsquote von 50 Prozent.

Laut Gründer Stephan Lehner liegt die Erfolgsquote im Repair Café Taunton zurzeit bei 79 Prozent. «Das wird sich jetzt noch verbessern», ist er überzeugt. «Wenn die Hersteller das neue Gesetz richtig umsetzen, können auch wir einfacher demontieren und reparieren.»

Was bedeutet das neue Reparatur-Gesetz für die Hersteller?

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Das Gesetz «right to repair» verlangt, dass Geräte sieben bis zehn Jahre lang reparierbar sind. Dies bedeutet etwa, dass die Hersteller während dieser Zeitspanne Ersatzteile lagern müssen. «Und man benötigt zusätzliche Fachleute», erklärt Ben Lilly von der britischen Firma ATC-Audio. Sie produziert Lautsprecher im oberen Preissegment und arbeitet schon lange so, wie es künftig alle britischen Hersteller müssen.

Aus Erfahrung weiss Lilly: «Es braucht Techniker und Technikerinnen, die fähig sind, Fehler zu finden, Diagnosen zu stellen und eine Reparatur vorzunehmen. Es wird mehr technisches Verständnis verlangt als bei der aktuellen Produktionsweise.»

Wo steht die Schweiz? Und welche Folgen kann das neue EU-Gesetz «right to repair» für uns haben? Marcel Dobler, FDP-Nationalrat und Gründungsmitglied des Onlineshops Digitec, sieht im Reparaturzwang keinen Sinn. Das Gesetz würde die Produkte verteuern, wichtiger sei Transparenz: «Der Kunde muss wissen, ob ein Gerät reparierbar ist und kann seinen Kaufentscheid entsprechend fällen.»

Konsumentenschützerin Sara Stalder hingegen ist überzeugt: «Die Reparatur-Regel hat keine höheren Preise zur Folge, der Wettbewerb wird weiter spielen.»

Österreich: der Sammelklagen-Pionier

Gemeinsam klagen: Österreich kennt dieses Recht bereits seit 20 Jahren. Zu verdanken haben sie das Rechtsanwalt Peter Kolba. SRF-Korrespondent Peter Balzli besucht ihn.

Damit Sammelklagen überhaupt möglich wurden, nutzte der ehemalige Parlamentarier einen Paragrafen in der Zivilprozessordnung. Dank diesem können Geschädigte ihre Forderung an einen Verband abtreten. Damit revolutionierte er das Recht in seinem Land. In den anderen EU-Ländern hingegen harzt es. Das Instrument der Sammelklage soll erst Ende 2022 eingeführt werden. Kolba kennt den Grund: «Die europäische Wirtschaft will keine effektiven Sammelklagen und die Politik beugt sich diesem Wunsch.»

Am Anfang der ersten Sammelklage Österreichs stand ein Ferienclub in der Türkei. Im Jahr 2000 verkauft der Reiseanbieter Gulet Touropa einen angeblichen Traumurlaub. Doch der Club ist noch nicht fertig gebaut, das Leitungswasser verseucht. Dutzende Gäste leiden an schwerem Brechdurchfall.

Ein Fall für Peter Kolba: Er reichte für 111 Geschädigte eine Sammelklage ein. Ein Novum in Österreich – eines mit Erfolg. Nach einigen Gerichtsverfahren schlug der Reiseveranstalter einen Vergleich vor und bezahlte den Geschädigten 70 Prozent des Kaufpreises zurück. Und Peter Kolba blieb dran: «Ein Jahr später gab es wieder eine Brechdurchfall-Epidemie im selben Club. Wir wollten erneut Geld für die Geschädigten. Und siehe da, der Veranstalter hat gelernt: Er bezahlte – ohne Gericht.»

Eine Sammelklage behebt ein Problem. Es wäre für das Unternehmen zu teuer, sich ständig mit Sammelklagen zu befassen.
Autor: Peter Kolba Obmann Verbraucherschutzverein

Bis heute lancierten Peter Kolba und seine Leute rund 20 Sammelklagen. Etwa gegen den mächtigen Finanzdienstleister AWD. Dieser verkaufte Finanzprodukte, ohne genügend über die Risiken zu informieren. Oder gegen Fluggesellschaften wie Sky Europe, die Passagiere nach annullierten Flügen nicht genügend entschädigen wollten.

Mann in seinem Büro
Legende: Peter Kolba gilt in Österreich als «Erfinder» der Sammelklage. SRF

Die allermeisten dieser Sammelklagen enden mit einem Vergleich. Peter Kolba ist zufrieden: «Man sieht, eine Sammelklage behebt ein Problem. Es wäre für das Unternehmen zu teuer, sich ständig mit Sammelklagen zu befassen.»

Corona in Ischgl: Sammelklage gegen Staat?

Doch der Fall Ischgl zeigt auch die Grenzen der Sammelklage auf. Im Tiroler Winterkurort bricht im März 2020 das Coronavirus aus. Doch Pisten und Lokale bleiben offen. Statt die Gäste in Quarantäne zu schicken, lassen die Behörden Hunderte überstürzt abreisen. So verteilen sie das Virus in ganz Europa. Einige sterben, viele erleiden bleibende Schäden.

Die Finanzierer glauben nicht, dass die Richter eines Staates den eigenen Staat verurteilen würden. Allerdings ist dieses Vorurteil in einem Land wie Österreich nicht gerechtfertigt.
Autor: Peter Kolba Obmann Verbraucherschutzverein

Rund 3000 Corona-Geschädigte von Ischgl meldeten sich bei Peter Kolbas Verbraucherschutzverein. Erste Einzelklagen hat er vor Gericht gebracht, jedoch nur für Kläger mit Rechtsschutzversicherung. Für eine grosse Sammelklage braucht er einen Prozess-Finanzierer - und das gestaltet sich schwierig: «Die Finanzierer glauben nicht, dass die Richter den eigenen Staat verurteilen würden. Allerdings ist dieses Vorurteil in einem Land wie Österreich nicht gerechtfertigt.» So oder so, auch wenn die Sammelklage nicht zustande käme, will Peter Kolba die Klagen der Ischgl-Geschädigten weiterziehen; wenn nötig bis an den Europäischen Gerichtshof.

Und für SRF-Korrespondent Peter Balzli ist klar: «Das Recht auf Sammelklage löst nicht alle Probleme von Geschädigten. Aber das Beispiel Österreich zeigt, das Instrument stärkt die rechtliche Position von Konsumentinnen und Konsumenten in erheblichem Mass. 

In der Schweiz sind solche Klagen nicht möglich. Für Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz ist klar: Auch hier braucht es das Instrument der Sammelklage, damit niemand aus finanziellen Gründen vom juristischen Weg ausgeschlossen ist.

Kassensturz, 04.01.2022, 21:05 Uhr

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