Zum Inhalt springen

Kein Abkommen – was nun? «Auf einen harten Brexit ist kaum jemand richtig vorbereitet»

Das britische Parlament lehnt den Brexit-Vertrag ab. Schon raten erste Stimmen aus der Wirtschaft, beispielsweise die UBS, die Anleger sollten ihr Engagement im Vereinigten Königreich begrenzen. Ökonom Holger Schmieding erklärt die möglichen Auswirkungen auf die britische Wirtschaft.

Holger Schmieding

Chefökonom der Berenberg Bank

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Schmieding war Chefökonom Europa bei verschiedenen Banken. Seit 2010 arbeitet er für die deutsche Bank Berenberg. Sein Arbeitsort ist London.

SRF News: Was heisst der Entscheid des britischen Parlaments für die Wirtschaft?

Holger Schmieding: Er bedeutet zunächst, dass die grosse Unsicherheit weitergeht. Allerdings ist das keine so schlechte Nachricht, denn der Vertragsentwurf von Frau May ist so deutlich abgelehnt worden, dass er vermutlich vom Tisch ist. Wenn heute Abend das Misstrauensvotum gegen May vorbei ist, werden die Karten neu gemischt. Damit ergeben sich auch neue Chancen. Vielleicht kommt sogar ein besserer Brexit heraus.

Wir haben im britischen Parlament eine klare Mehrheit der Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg, die den harten Brexit ablehnt.

Wird der Austritt ohne Abkommen zu einem realistischen Szenario?

Der harte Brexit ohne Abkommen ist bereits ein realistisches Szenario. Das war er auch vor dieser Abstimmung. Es ist unangenehm, dass dieser Austrittsvertrag wahrscheinlich gescheitert ist. Aber wie gesagt: Wir haben im britischen Parlament nach allem, was man weiss, eine klare Mehrheit der Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg, die den harten Brexit ablehnt.

Wie gut sind die Unternehmen auf einen harten Brexit vorbereitet?

Auf einen harten Brexit ohne Anschlussabkommen ist kaum jemand richtig vorbereitet. In der Finanzindustrie hat man einiges gemacht, um sich vor den grossen Auswirkungen zu schützen. Aber beispielsweise im Güterverkehr kann man sich kaum darauf vorbereiten. Wenn es neue Zollabfertigung gibt, ist das eine Unterbrechung. Man konnte feststellen, dass Unternehmen grössere Lagerbestände anhäufen, um nach einem harten Brexit zumindest für einige Wochen die Zuliefererteile auf Lager zu haben, die sie vom Kontinent brauchen. Das wäre nur eine sehr kurzfristige Abmilderung. Der grosse Teil der britischen Wirtschaft ist auf einen richtig harten Brexit nicht vorbereitet. Das übt Druck auf das Parlament aus, diesen harten Brexit zu vermeiden.

Die Übergangsphase ist abhängig davon, dass es doch irgendeinen Brexit-Abkommen gibt.

Geplant wäre eine Übergangsphase für die Wirtschaft bis 2020. Grossbritannien bliebe für diese Zeit im EU-Binnenmarkt und damit in dieser Zollunion. Bleibt grob gesehen vieles beim Alten?

Die Übergangsphase ist abhängig davon, dass es doch irgendein Brexit-Abkommen gibt. Wenn ein harter Brexit vermieden wird, dann dürfte die Übergangszeit dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen vorläufig nur in moderatem Umfang spürbar sind. Sie gingen nicht über das hinaus, was wir in den letzten zwei Jahren bereits als Konjunktur-dämpfend in Grossbritannien empfunden haben. Unternehmen investieren weniger und es strömen weniger Arbeitskräfte aus Europa nach Grossbritannien.

Wenn wir das zusammenfassen: Für die britische Wirtschaft unterscheidet sich die Lage heute kaum von der von gestern?

Bisher nicht. Sollte sich aber in zwei Wochen keine andere Lösung abzeichnen, dann wäre der Rückschlag für die britische Wirtschaft erheblich. Eine Alternative wäre der Verbleib im Binnenmarkt für Güter und der Verbleib in der Zollunion – auf Dauer.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

Meistgelesene Artikel