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Kein Frieden in Sicht Afghanistan: der unendliche Konflikt

Der Hintergrund, vor dem heute in Genf die Uno-Geberkonferenz für Afghanistan stattfand, könnte kaum düsterer sein: Die Friedensgespräche mit den radikalislamischen Taliban stocken. Die Gewalt im Land nimmt seit September wieder zu. Und der von US-Präsident Donald Trump angekündigte forcierte Truppenabzug ermuntert die Taliban erst recht zum Kämpfen und dazu, die Macht im Land zu erobern. Was wiederum in vielen Ländern die Spendenbereitschaft dämpft.

Wenig Hoffnung, kaum Spenden

Die Zuversicht hatte auf der Afghanistan-Konferenz an einem kleinen Ort Platz. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis versuchte, mit einem afghanischen Sprichwort etwas Hoffnung zu schüren: «Ein Freund ist, wer einem in Zeiten des Leids und der Ohnmacht die Hand reicht.»

Die Freunde Afghanistans waren - zwar mehrheitlich virtuell - gut vertreten: 66 Länder, 32 internationale Organisationen. Doch die bei der letzten Afghanistan-Geberkonferenz vor vier Jahren zugesagte Gesamtsumme von gut 15 Milliarden Dollar wurde diesmal deutlich unterboten. Zwölf Millionen wurden zugesagt für die kommenden vier Jahre. Gewiss: Solche Zahlen sind ohnehin keine harte Währung. Versprochen wird stets mehr als am Ende bezahlt. Diesmal war jedoch die Spendenmüdigkeit offenkundig.

Ein Land als unlösbares Dauerproblem

Sie hat mit der Corona-Krise zu tun, aber ebenso mit Afghanistan. Das Vertrauen in die gewählte Regierung von Aschraf Ghani ist im Land selber und im Ausland gering. Die afghanische Armee droht auseinanderzufallen, zumal sie dieses Jahr schon tausende von Opfern zu beklagen hat, was nicht eben motivationsfördernd ist. Die Friedensverhandlungen im qatarischen Doha mit den Taliban stocken. Noch immer redet man über Formalitäten; die Substanz wurde noch nicht mal angetippt.

Dazu kommt: Je stärker sich die Streitkräfte der Nato-Staaten aus dem Hindukusch abziehen, desto weniger befindet sich Afghanistan in all diesen Ländern überhaupt noch auf dem Radar. Nach vierzig Jahren Bürgerkrieg, davon bald zwanzig mit Nato-Beteiligung, gilt das Land als unlösbares Dauerproblem. Die Frustration ist gross. Auf allen Seiten.

Misstrauen in die Taliban

Dazu kommt das tiefe und berechtigte Misstrauen in die Taliban. Mächtige Teile der radikalislamischen Bewegung wollen lieber kämpfen als verhandeln. Und erst recht keine Zugeständnisse machen. Deshalb machen nun zahlreiche Geberländer ihre Zahlungen abhängig von der Entwicklung in Afghanistan, um so die Taliban in die Pflicht zu nehmen: Kanada, die Niederlande oder die EU sagten das besonders deutlich.

Dass US-Präsident Donald Trump noch ganz schnell vor seinem Abgang die Hälfte seiner ohnehin nur noch 5000 US-Soldaten heimholen will, schwächt die afghanische Regierung erst recht und verschafft den kampfwilligen Hardlinern unter den Taliban Oberwasser. Zumal der US-Abzug zahlreiche weitere Nato-Streitkräfte nach sich zieht, da sie logistisch und bezüglich Sicherheit auf die USA angewiesen sind.

Frieden in weiter Ferne

Die Grosskonferenz von Genf zeigte deshalb: Es ist nicht mal sicher, ob das Minimalziel der westlichen Anstrengungen erreichbar ist - nämlich zu verhindern, dass Afghanistan je wieder zum Ausgangspunkt von Terrorattacken in aller Welt wird.

Ganz zu schweigen von der einst versprochenen Sicherheit, der Demokratie, dem Wohlstand für die afghanische Bevölkerung. Das Ziel Frieden in Freiheit für Land und Volk liegt in weiter Ferne.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 24.11.2020; 18 Uhr

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