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Keine Blockade in Kaliningrad Das steckt hinter Litauens Transitbeschränkung nach Kaliningrad

Kaliningrad wird mit Gütern aus Russland versorgt. Aus Moskau heisst es, die Exklave werde blockiert und ausgehungert. Das stimmt nicht.

Worum geht es? Kaliningrad wird mit Gütern und Lebensmitteln aus Russland auf dem Land-, Luft- und Seeweg versorgt. In Kaliningrad leben gegen eine halbe Million Menschen. Die russische Exklave ist umgeben von den beiden EU- und Nato-Staaten Polen und Litauen. Litauen hat den Güterverkehr zwischen Russland und Kaliningrad eingeschränkt. Dieser Entscheid Litauens führt zu aggressiven Reaktionen aus Moskau. Aus Moskau heisst es, Kaliningrad werde blockiert und quasi ausgehungert.

Was heisst es aus Kaliningrad? Der Gouverneur des Kaliningrader Gebiets, Anton Alichanow, stellt die Lage anders dar als Moskau. Er räumt zwar Transportschwierigkeiten ein. Diese seien aber überwindbar. Das schrieb er auf seinem Account auf dem Messengerdienst Telegram. Die Flugzeuge würden fliegen, die Passagierzüge würden normal fahren und für die sanktionierten Güter gebe es immer noch den Weg über das Meer.

Handelt es sich um eine Blockade? Anton Alichanow schrieb auch, die Menschen seien auf den Strassen, die Läden seien voll. Es habe lediglich kurzfristige Panikkäufe gegeben. Diese seien unbegründet gewesen. «Von Blockade oder Aushungern kann offenbar keine Rede sein», schätzt SRF-Auslandredaktorin Judith Huber die Situation ein. Russland spreche aber bewusst von einer Blockade: «Weil dabei die schreckliche Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg mit über einer Million Hungertoten anklingt. Diese hat sich tief in das Gedächtnis der Russen und Russinnen eingebrannt.»

Wie sieht der Landweg nach Kaliningrad aus? Die Güter aus Russland gelangen per Bahn von Russland über Belarus, dann weiter über Litauen bis nach Kaliningrad. Jeden Monat rollen rund 100 Züge ins russische Kaliningrad ein. Dieser Bahntransit über EU- und Nato-Gebiet wird durch ein Abkommen zwischen Brüssel und Moskau geregelt.

Der Hintergrund des Abkommens

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«Dieses Abkommen wurde nötig, als Litauen sich Anfang der 2000er-Jahre auf die EU und Nato zubewegte. Russland musste irgendwie sicherstellen, dass es weiterhin eine Art Landzugang zum Gebiet Kaliningrad gibt. Russland hätte damals gerne einen Militärkorridor durch Litauen gehabt. Es konnte sich aber nicht durchsetzen und stimmte diesem Transitverfahren zu», erklärt Auslandredaktorin Judith Huber.

Für welche Güter gelten Beschränkungen? Betroffen sind Metalle, Kohle, Baumaterialien und Hochtechnologie-Produkte. Lebensmittel und alle anderen nicht sanktionierten Waren werden weiterhin über den Landweg über Litauen nach Kaliningrad gebracht. Auch alle Passagierzüge fahren weiterhin normal. Litauen betont denn auch, es blockiere diese Güter nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil es die Sanktionen der EU umsetzen müsse.

Warum setzt Litauen die Sanktionen erst jetzt um? Litauen musste sich bei der Umsetzung der Sanktionen offenbar zuerst mit Brüssel abstimmen, wegen dieses Transitabkommens zwischen der EU und Russland. «Aus dem Kreml aber heisst es jetzt, die Einschränkung des Gütertransports sei eine gravierende Verletzung dieses Abkommens», sagt Huber.

Wie reagiert Russland? Moskau spricht von einem feindseligen Akt. Und warnt vor schwerwiegenden Konsequenzen für Litauen. «Litauen setzt sich schon lange für harte Sanktionen und eine harte Linie gegenüber Moskau ein. Und ist dadurch vielen russischen Politikern ein Dorn im Auge. Es gibt Stimmen, die schon lange einen Einmarsch ins Baltikum verordnen», sagt Judith Huber. Andere verlangen, Russland müsse sich einen Transportkorridor nach Kaliningrad freikämpfen. «Das würde heissen, dass Russland in einen offenen Konflikt mit der Nato treten würde. Und das will man im Kreml wahrscheinlich doch nicht.» Es sei jedoch möglich, dass es zu einer Art Provokation kommen könnte.

Russische Raketen in Kaliningrad stationiert

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Kaliningrad ist stark militarisiert ist. Dort sind Iskander-Raketen stationiert. «Diese haben eine Reichweite von 500 Kilometern. Sie können Warschau oder Berlin erreichen. Und sie können mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden. Das Drohpotenzial ist also tatsächlich beträchtlich. Ich gehe aber trotzdem davon aus, dass sich die Aufregung wieder etwas legen wird», sagt Huber. Die EU hat schon signalisiert, dass man die ganze Transitfrage nochmals prüfen werde.

SRF 4 News, Rendez-vous, 22.06.2022, 12:30 Uhr ; 

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