Zum Inhalt springen

Litauen ist besorgt Eindringliche Warnung vor Putins Russland

Im baltischen Staat Litauen schaut man besorgt in die Ukraine – und fühlt sich an den eigenen Freiheitskampf erinnert.

Auf den ersten Blick geht in der litauischen Hauptstadt Vilnius alles seinen gewohnten Gang. Die Menschen flanieren, gehen einkaufen, vergnügen sich. Doch der Eindruck täuscht: Die Aggression Russlands gegen die Ukraine löst eine tiefe Beunruhigung aus. Auch beim Journalisten Albinas Pilipauskas. «Es ist ein Thema, das uns alle tief bewegt. Denn wir wissen, was das bedeutet», sagt Pilipauskas.  

Der Journalist Albinas Pilipauskas vor dem Parlament in Vilnius.
Legende: Der Journalist Albinas Pilipauskas vor dem Parlament in Vilnius. SRF/Judith Huber

Das Vorgehen Russlands erinnert die Litauerinnen und Litauer an ihre eigene Geschichte – an die Zeit der sowjetischen Besatzung – und insbesondere an den Januar 1991.  

Litauen hatte im März 1990 als erste Sowjetrepublik die Unabhängigkeit ausgerufen. Moskau aber wollte die Balten mit Gewalt in der Sowjetunion halten. Am 13. Januar 1991 rollten sowjetische Panzer durch Vilnius, Spezialtruppen stürmten den Fernsehturm, 14 Menschen starben. Vor dem Parlament strömten Tausende zusammen, um das letzte Symbol der Unabhängigkeit Litauens friedlich zu verteidigen.  

Der Vater der Unabhängigkeit

Die geschwächte sowjetische Führung schreckte schliesslich davor zurück, gegen die grosse Menschenmenge mit Gewalt vorzugehen. Litauen erlangte die volle Unabhängigkeit. Die Sowjetunion zerfiel wenig später. 

Eine besondere Rolle spielte damals Vytautas Landsbergis. Er gilt als Vater der Unabhängigkeit. Der heute 89-Jährige sagt, er sehe zahlreiche Parallelen von 1991 zu heute: «In gewisser Weise ist der Kampf um die Unabhängigkeit der Ukraine eine Fortsetzung unseres Kampfes von damals. Vor 30 Jahren waren die Ukrainer zu vorsichtig, sie wussten nicht, was sie wollten. Sie haben viel Zeit verloren. Und nun bezahlen sie dafür.» 

Vytautas Landsbergis

Box aufklappen Box zuklappen
Vytautas Landsbergis
Legende: SRF/Judith Huber

Der 1932 geborene konservative Politiker und Musikwissenschafter war einer der Begründer der litauischen Unabhängigkeitsbewegung Sajudis. Bei den ersten freien Wahlen 1990 wurde Landsbergis zum Parlamentsvorsitzenden gewählt und kommissarisch zum Staatsoberhaupt. Während der Spannungen mit der sowjetischen Führung zwischen 1990 und 1991 verfocht er eine harte Linie und rückte nicht von der Unabhängigkeit Litauens ab. Landsbergis ist bis heute einer der bekanntesten und einflussreichsten Politiker Litauens und war stets scharfer Kritiker der russischen Regierung. Sein Enkel Gabrielius Landsbergis ist heute litauischer Aussenminister.

Nach dem Kollaps der Sowjetunion hätten sich die Ukraine und auch Belarus dem Einfluss Moskaus nicht vollständig und entschlossen genug entzogen.  

Die russische Führung, so zeigt sich Landsbergis überzeugt, will sich an der Ukraine rächen: «Sie sind bereit, die Ukraine vollkommen zu vernichten. Weil sie das Land hassen. Es ist ihnen zuwider, dass die Ukraine, die ihnen so nah ist, einen anderen Weg eingeschlagen hat als Russland. Sie sehen es als Verrat, der bestraft werden muss.» 

Impressionen aus Vilnius

Landsbergis mahnt, es gehe bei dem Krieg nicht nur um die Ukraine, sondern um die Zukunft Europas – darum, ob die Länder Europas als Demokratien weiter bestehen würden oder nicht. Gleichzeitig sieht der 89-Jährige auch die Chance, dass sich die Länder Europas von einer inneren Gefahr befreien: Der Gefahr nämlich, sich einer Figur wie Putin zu unterwerfen, im Stil von: «Lassen wir ihn herrschen, vielleicht weiss er es besser, vielleicht ist er so stark, dass es keine Chance gibt, sich nicht zu unterwerfen – denn ansonsten wird er sich schrecklich rächen, wie er das mit der Ukraine tut.» 

Da kommt der Visionär Landsbergis zum Vorschein, der den litauischen Kampf um die Unabhängigkeit anführte. Wie konnte er damals so sicher sein, dass er das Richtige tat und sein Ziel erreichen würde? Landsbergis sagt: «Wir waren nicht sicher, was mit uns geschehen würde. Aber wir wussten, was wir tun mussten.»

Echo der Zeit, 7.4.2022, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel