In der früheren Bürgerkriegsregion Nordirland ist ein umstrittenes britisches Gesetz in Kraft getreten, das nach Ansicht von Kritikern die Aufarbeitung von Verbrechen während des jahrzehntelangen Konflikts behindert.
Der Nordirland-Sprecher der britischen Oppositionspartei Labour, Hilary Benn, kündigte an, die Sozialdemokraten würden im Falle eines Siegs bei der kommenden Parlamentswahl gerichtliche Untersuchungen von historischen Taten sowie Zivilklagen wieder ermöglichen.
Es sei ein «sehr schmerzhafter Tag» für die Angehörigen der Opfer, sagte Benn am Mittwoch der BBC. «Sie haben das Gefühl, dass ihnen am 1. Mai eine Tür vor der Nase zugeschlagen wird, insbesondere diejenigen, die an gerichtlichen Untersuchungen beteiligt waren.»
Zivilprozesse und Untersuchungen zu Morden und anderem Unrecht aus den drei Jahrzehnte andauernden «Troubles» in der britischen Provinz soll es laut dem Gesetz nicht mehr geben.
Versöhnungskommission wird eingesetzt
Rund 1000 Todesfälle während des Konflikts gelten nach wie vor als ungeklärt. 18 Fälle davon waren bislang Gegenstand von laufenden Ermittlungen, berichtet der freie Journalist Peter Stäuber aus London. «Diese Untersuchungen wurden nun vom einen auf den anderen Tag gestoppt. Viele weitere Untersuchungen waren geplant, können aber nicht mehr stattfinden.»
Stattdessen soll sich künftig eine Versöhnungskommission mit den Verbrechen während des Konflikts befassen. Strafrechtliche Konsequenzen wird ihre Aufarbeitung für die Täterinnen und Täter aber nicht haben. Die Befugnisse und Kapazitäten der Kommission seien sehr beschränkt, erklärt Stäuber. Im Grunde gehe es darum, Informationen zusammenzutragen.
London erntet Kritik
Angehörige der Opfer werfen der konservativen Regierung in London vor, in erster Linie ehemalige britische Soldaten vor rechtlichen Konsequenzen schützen zu wollen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte beim irischen Sender RTÉ, dass Untersuchungen zu Dutzenden Morden nicht fortgesetzt würden.
Die neue Regelung wurde gegen den Widerstand der nordirischen Parteien eingeführt. Die Regierung des EU-Mitglieds Irland hat Grossbritannien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verklagt. Das Gesetz sei mit den Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar.
Es stellt sich die Frage, ob britische Agenten von geplanten Anschlägen wussten, Leute nicht warnten oder sogar selbst an der Planung beteiligt waren.
Die Regierung in London dürfte auch ein Interesse daran haben, die Rolle der britischen Geheimdienste im Dunkeln zu belassen, schätzt Stäuber. Britische Agenten hätten während des Konflikts mit loyalistischen Paramilitärs in Nordirland zusammengearbeitet, die Hunderte Zivilisten auf dem Gewissen haben.
«Es stellt sich die Frage, ob britische Agenten von geplanten Anschlägen wussten, Leute nicht warnten oder sogar selbst an der Planung beteiligt waren.» Der britische Staat möchte solche Fragen lieber unbeantwortet lassen, schliesst der Korrespondent. «Und das neue Gesetz hilft ihm dabei.»