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Keine juristische Aufarbeitung London will Schlussstrich unter Nordirlandkonflikt ziehen

Die im Konflikt begangenen Verbrechen sollen nicht länger juristisch aufgearbeitet werden. Das sorgt für heftige Kritik.

In der früheren Bürgerkriegsregion Nordirland ist ein umstrittenes britisches Gesetz in Kraft getreten, das nach Ansicht von Kritikern die Aufarbeitung von Verbrechen während des jahrzehntelangen Konflikts behindert.

Der Nordirland-Sprecher der britischen Oppositionspartei Labour, Hilary Benn, kündigte an, die Sozialdemokraten würden im Falle eines Siegs bei der kommenden Parlamentswahl gerichtliche Untersuchungen von historischen Taten sowie Zivilklagen wieder ermöglichen.

Britische Soldaten während der «Troubles» 1981 in Belfast.
Legende: Grossbritannien hat ein neues Gesetz, das einen Schlussstrich unter den Nordirlandkonflikt ziehen soll. Die damals verübten Morde sollen nicht länger juristisch aufgearbeitet werden. Bild: Britische Soldaten während der «Troubles» 1981 in Belfast. Keystone/AP (Archiv)

Es sei ein «sehr schmerzhafter Tag» für die Angehörigen der Opfer, sagte Benn am Mittwoch der BBC. «Sie haben das Gefühl, dass ihnen am 1. Mai eine Tür vor der Nase zugeschlagen wird, insbesondere diejenigen, die an gerichtlichen Untersuchungen beteiligt waren.»

Nordirlandkonflikt forderte Tausende Opfer

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Bombenanschlag durch die Irisch-republikanische Armee (IRA) 1979 in Derry.
Legende: Bombenanschlag durch die Irisch-republikanische Armee (IRA) 1979 in der nordirischen Stadt Derry. Keystone/STR (Archiv)

In dem Konflikt kämpften überwiegend katholische Befürworter einer Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland gegen meist protestantische Anhänger der Union mit Grossbritannien, Polizei und britischem Militär. Jahrzehntelang gab es blutige Anschläge und Morde, über 3500 Menschen starben.

Der Konflikt ist schon über 25 Jahre her. Viele Morde und Anschläge aus dieser Zeit sind noch nicht aufgeklärt. Der Bürgerkrieg dauerte von Ende der 1960er-Jahre bis zum Friedensschluss im Karfreitagsabkommen von 1998.

Zivilprozesse und Untersuchungen zu Morden und anderem Unrecht aus den drei Jahrzehnte andauernden «Troubles» in der britischen Provinz soll es laut dem Gesetz nicht mehr geben.

Versöhnungskommission wird eingesetzt

Rund 1000 Todesfälle während des Konflikts gelten nach wie vor als ungeklärt. 18 Fälle davon waren bislang Gegenstand von laufenden Ermittlungen, berichtet der freie Journalist Peter Stäuber aus London. «Diese Untersuchungen wurden nun vom einen auf den anderen Tag gestoppt. Viele weitere Untersuchungen waren geplant, können aber nicht mehr stattfinden.»

Stattdessen soll sich künftig eine Versöhnungskommission mit den Verbrechen während des Konflikts befassen. Strafrechtliche Konsequenzen wird ihre Aufarbeitung für die Täterinnen und Täter aber nicht haben. Die Befugnisse und Kapazitäten der Kommission seien sehr beschränkt, erklärt Stäuber. Im Grunde gehe es darum, Informationen zusammenzutragen.

London erntet Kritik

Angehörige der Opfer werfen der konservativen Regierung in London vor, in erster Linie ehemalige britische Soldaten vor rechtlichen Konsequenzen schützen zu wollen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte beim irischen Sender RTÉ, dass Untersuchungen zu Dutzenden Morden nicht fortgesetzt würden.

Die neue Regelung wurde gegen den Widerstand der nordirischen Parteien eingeführt. Die Regierung des EU-Mitglieds Irland hat Grossbritannien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verklagt. Das Gesetz sei mit den Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar.

Es stellt sich die Frage, ob britische Agenten von geplanten Anschlägen wussten, Leute nicht warnten oder sogar selbst an der Planung beteiligt waren.
Autor: Peter Stäuber Freier Journalist in London

Die Regierung in London dürfte auch ein Interesse daran haben, die Rolle der britischen Geheimdienste im Dunkeln zu belassen, schätzt Stäuber. Britische Agenten hätten während des Konflikts mit loyalistischen Paramilitärs in Nordirland zusammengearbeitet, die Hunderte Zivilisten auf dem Gewissen haben.

«Es stellt sich die Frage, ob britische Agenten von geplanten Anschlägen wussten, Leute nicht warnten oder sogar selbst an der Planung beteiligt waren.» Der britische Staat möchte solche Fragen lieber unbeantwortet lassen, schliesst der Korrespondent. «Und das neue Gesetz hilft ihm dabei.»

SRF 4 News, 02.05.2024, 6.35 Uhr ; 

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