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Europarat übernimmt Schweizer Modell in Sachen Kinderschutz
Aus Echo der Zeit vom 26.01.2024. Bild: Imago
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Kindsmissbrauch Eine Schweizer Lösung wird zur europäischen Lösung

Bei Abkommen gehört die Schweiz selten zu den ersten, die sich ihnen anschliessen; nicht so im Europarat am Freitag.

Es geschah in Waisenhäusern in Island und Rumänien, in Schulen in Schweden und Norwegen, in kirchlichen Institutionen in Deutschland, Belgien oder Spanien, auf Bauernhöfen in der Schweiz, in Sommerlagern in Frankreich. Physische Gewalt, psychische Gewalt, sexueller Missbrauch, Fürsorgeentzug, Zwangsadoptionen, Zwangssterilisierungen. «Der Katalog der Misshandlungen hat kein Ende», sagt der Schweizer Europaratsabgeordnete und jurassische SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez in der Debatte.

Er war der Berichterstatter des Europarats beim Thema Kindesmissbrauch und treibende Kraft hinter dem heutigen Beschluss. Die Schweiz habe unter Druck der Öffentlichkeit handeln müssen. Dank der europaweiten Lobbyorganisation «Justice Initiative» könnten nun auch die Regierungen der übrigen 45 Europarats-Mitgliedstaaten nicht länger wegschauen.

Umgang mit Verdingkindern als Pionierschritt der Schweiz

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Die Schweiz zahlt ehemaligen Verding- und Heimkindern einen Solidaritätsbeitrag von 25’000 Franken. Dies als Zeichen, dass das erlittene Unrecht anerkannt wird. Auch arbeitet die Schweiz ihre dunkle Vergangenheit wissenschaftlich auf und hilft den Opfern auch anderweitig. Die Schweizer Lösung sei im europäischen Kontext einzigartig, sagt Helen Keller, Rechtsprofessorin an der Universität Zürich und ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gegenüber SRF News: «Das ist wirklich ein Pionierschritt der Schweiz. Die Lösung ist einfach und relativ schrankenlos. Und was für die Schweiz auch gut ist: Sie ist bundesweit für alle Menschen dieselbe.»

Bis Ende 2023 sind über 10’000 Gesuche gutgeheissen worden. Die Solidaritätsbeiträge haben die Schweiz bis jetzt also etwas mehr als 266 Millionen Franken gekostet. Laut Keller ist das finanzielle Risiko für die Schweiz überschaubar gewesen, weil sie ungefähr wusste, wie viele Personen fremdplatziert waren.

Die Debatte in Strassburg war lebhaft, doch der Wille, die Schweizer Lösung zur europäischen zu machen, war klar. Die deutsche Abgeordnete Heike Engelhardt lobt Pierre-Alain Fridez' Recherchen in zahlreichen Ländern: «Seine Reisen haben auf erschreckende Weise gezeigt, welchen Misshandlungen Kinder in Europa ausgeliefert waren – und es teilweise noch sind.»

Engagiert brachten sich nicht zuletzt ukrainische Parlamentarierinnen ein. Ihr Land ist wegen der rund 20'000 von Russland deportierten Kinder besonders betroffen. Lesia Vasylenko ist überzeugt: «Die Schweizer Lösung lässt sich auch anderswo durchsetzen.»

Resolution fast einstimmig beschlossen

«Geht es um fundamentale Werte, herrscht häufig Konsens im Europarat», sagt Pierre-Alain Fridez. Weil es nirgendwo sonst ein so umfassendes Gesetz gebe, habe sich nun das Schweizer Modell durchgesetzt. Auch Aussenminister Ignazio Cassis hat sich schon vor einiger Zeit mit einem Auftritt am Sitz des Europarats dafür eingesetzt.

Zwei Betten.
Legende: Keystone/Anthony Anex/Archiv

Europaweit gibt die Strassburger Institution jetzt vor, was in der Schweiz per Bundesgesetz gilt: Anerkennung des Leids, wissenschaftliche Aufarbeitung, offizielle Entschuldigung bei den Opfern, erkleckliche Entschädigungen, Bestrafung der Täter sowie Vorbeugung, um neue Fälle zu verhindern. «Umsetzen müssen das nun die einzelnen Staaten», erläutert Fridez: «Es braucht bestimmt – wie zuvor in der Schweiz – eine breite Mobilisierung, damit rasch gehandelt wird.»

Das Beispiel Kindesmissbrauch zeigt für den Schweizer Botschafter beim Europarat, Claude Wild, exemplarisch, welche Rolle die Organisation spielen kann: «Man lernt aus den Erfahrungen eines Landes und wendet Rezepte, die dort funktionieren, überall an. In diesem Fall verfügt die Schweiz über eine gute Praxis. Übernehmen andere Länder diese, ist allen Opfern viel schneller geholfen.»

Für ein derartiges Vorgehen könnte und sollte man sich wohl noch weitaus häufiger entscheiden.

Echo der Zeit, 26.1.2024, 18:00 Uhr

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