Darum geht es: Die linke Regierungskoalition Spaniens hat vor anderthalb Jahren den Entwurf zu einem neuen Transgendergesetz gutgeheissen. Dieses soll jungen Erwachsenen ab 16 Jahren ermöglichen, ihr Geschlecht selber zu bestimmen – konkret ihren Geschlechtseintrag ohne Einverständnis der Eltern und ohne medizinische Abklärung zu ändern. Doch dagegen gibt es anhaltenden Widerstand – auch aus den eigenen linken Reihen.
Die Gegnerschaft: Die beiden Regierungsparteien PSOE und Unidos Podemos hatten den Entwurf gemeinsam gebilligt. Doch dann schlug sich die PSOE, die Partei des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, plötzlich auf die Seite der Konservativen und Rechtspopulisten, und half dabei, die Debatte über das Gesetz zu verzögern. «Das hat vor allem damit zu tun, dass 2023 Wahlen anstehen und beide Parteien sich als feministisch inszenieren wollen», sagt die Journalistin Julia Macher.
Die älteren Feministinnen sind vom Kampf für Frauenrechte nach der Franco-Diktatur geprägt.
Der Hintergrund: Hinter dem Streit um das neue Gesetz steckt ein Generationenkonflikt innerhalb der spanischen Feministinnen. Vor allem ältere Feministinnen aus der PSOE befürchten, dass das Transgendergesetz ihre Errungenschaften gefährdet. «Sie sind vom Kampf für Frauenrechte nach der Franco-Diktatur geprägt», so Macher. «Damals ging es um die Gleichstellung von Mann und Frau, das Recht auf einen eigenen Beruf, die freie Entscheidung für oder gegen ein Kind – sprich um das Abtreibungsgesetz.» Der Entwurf geht ihnen zu weit.
Die Befürworterinnen: «Die jüngeren Feministinnen, die überwiegend bei Unidas Podemos zu Hause sind, haben bei LGBTQ-Themen deutlich weniger Berührungsängste», beobachtet die freie Korrespondentin. «Ihnen geht es um Selbstbestimmung allgemein und um den Schutz vor Diskriminierung.» Sie sehen sich, wie Macher sagt, auf der «richtigen Seite». Dies mit dem Argument, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die Geschlechtsinkongruenz schon vor Jahren von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen hat. «Und mit diesem Gesetz will man das Recht jetzt an die Realität angleichen.»
So denkt die Bevölkerung: Die Tageszeitung «El Mundo» hat kürzlich eine Umfrage dazu veröffentlicht. Danach sehen zwar 66 Prozent der Bevölkerung es als problematisch an, dass bereits 16-Jährige eigenständig über ihr Geschlecht entscheiden können. Allerdings halten es 63 Prozent der Bevölkerung für grundsätzlich richtig, dass nicht die Biologie, sondern die Selbstwahrnehmung über die Geschlechtsidentität entscheidet. Bei den linken Parteien überwiegt die Zustimmung, bei den rechten Parteien die Ablehnung. Aber auch bei der rechten Opposition sagen zwischen 34 und 39 Prozent Ja zum Selbstbestimmungsrecht.
So geht es weiter: Die Koalition werde an der Frage nicht zerbrechen, sagt Macher. «Auch weil in der PSOE längst nicht alle das Nein zum Selbstbestimmungsrecht teilen.» So habe vor wenigen Tagen Spaniens bisher einzige geschlechtsinkongruente Abgeordnete deswegen ihr sozialistisches Parteibuch zurückgegeben. Diese Woche verlängerte die Gleichstellungsministerin Irene Montero die Frist für Einsprachen bis 18. November. «Wenn es dabei bleibt, dann könnte das Gesetz tatsächlich bis Anfang 2023 durchkommen. Das wäre für Montero und Unidas Podemos, dem kleineren Partner der Linkskoalition, ein wichtiger symbolischer Sieg – gerade mit Blick auf die Wahlen im nächsten Jahr.»