Die Situation im Gazastreifen scheint festgefahren. Der sogenannte Friedensplan von Donald Trump steckt noch immer in der ersten Phase, in der die Hamas die Leichen der israelischen Geiseln übergeben soll. Und auch die Waffenruhe ist brüchig, zwischenzeitlich hat die israelische Armee schwere Luftangriffe geflogen. Was tun? Der Konfliktforscher Wolf-Christian Paes weiss, auf welche Schritte man sich nun konzentrieren sollte.
SRF: Was bräuchte es gerade am meisten, um mehr Stabilität in Gaza zu erzeugen?
Wolf-Christian Paes: Am allerwichtigsten wäre aus meiner Sicht der politische Wille – und zwar sowohl der Konfliktparteien selber, also auch der Hamas und der israelischen Regierung, als auch der internationalen Staatengemeinschaft. Ohne diesen werden wir nicht weiterkommen. Im zweiten Schritt brauchen wir natürlich Ressourcen, also Gelder. Aber zum Beispiel auch Soldaten für die internationale Schutztruppe.
Wie könnte eine internationale Schutztruppe konkret aussehen? Wer stellt die Sicherheitskräfte?
Das ist genau die Frage, die im Augenblick diskutiert wird. Ursprünglich dachte man an eine Blauhelmmission des UNO-Sicherheitsrates, wobei unklar ist, ob es eine Beobachtermission oder eine robuste Schutztruppe wäre – wahrscheinlich letzteres.
Wir gehen davon aus, dass man bis zu 40'000 internationale Sicherheitskräfte für den Gazastreifen bräuchte.
Die Herkunft der Soldaten ist unklar, aber es werden kaum amerikanische oder europäische Truppen sein. Das Weisse Haus erwartet, dass der Golf und die arabische Welt Soldaten stellen, doch dort gibt es grosse Zurückhaltung. Wir gehen davon aus, dass man bis zu 40'000 internationale Sicherheitskräfte für den Gazastreifen brauchte. Es wird eine riesige Herausforderung, diese zu finden.
Wie äussert sich die israelische Seite bei diesem Thema?
Die israelische Seite sagt im Wesentlichen, was sie nicht möchte. Zum Beispiel hat sie gesagt, sie könnten sich jetzt keine türkischen Soldaten im Gazastreifen vorstellen, da die Beziehungen zwischen der Türkei und der israelischen Regierung angespannt sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch relativ wenig konstruktive Vorschläge. Es gibt die Vorstellung, dass befreundete «arabische Staaten» – also Staaten, mit denen die sogenannten Abraham-Codes abgeschlossen wurden, wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Bahrain – Truppen zur Verfügung stellen. Diese Bereitschaft gibt es aber aktuell nicht.
Ein anderes Stichwort ist die Demilitarisierung der Hamas. Wie kann das gelingen?
Die erste Frage, die sich stellt, ist: Wer würde Sicherheit für die Menschen im Gazastreifen produzieren? Man mag von der Hamas halten, was man will, es ist eine Terrororganisation. Aber sie stellen auch die Sicherheitskräfte in den Gebieten des Gazastreifens, die von ihnen kontrolliert werden, also etwa die Hälfte. Wenn man die Hamas entmilitarisiert, muss jemand anderes Sicherheit produzieren.
Für eine Zwischenlösung braucht man eine internationale Schutztruppe. Es ist zentral, dass wir in diesem Schritt weiterkommen.
Da braucht es eine palästinensische Polizei. Die gibt es nicht. Und für eine Zwischenlösung bräuchte man eine internationale Schutztruppe. Deswegen ist es zentral, dass wir in diesem Schritt weiterkommen. Im zweiten Schritt müsste man die Hamas Führung davon überzeugen, dass sie bereit wäre, die Waffen niederzulegen. Diese Bereitschaft gibt es aktuell zumindest nicht. Die Hamas sagt, das mache sie erst dann, wenn ein palästinensischer Staat absehbar ist. Da geht man davon aus, dass man die eigenen Kämpfer in eine zukünftige Armee überführt. Das sind riesige politische Herausforderungen, über die aber relativ wenig diskutiert wird.
Das Gespräch führte Julius Schmid.