Erika Stefani kommt aus dem Norden, aus Venetien. Sie vertritt die Lega im Senat. Sie ist überglücklich, dass Italiens Regionen nun zusätzliche Kompetenzen erhalten können: «Italiens Regionen und ihre Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich», sagt sie. Tatsächlich reicht das langgestreckte Stiefelland von Lampedusa, vor der Küste Afrikas, bis in die Alpen, nach Mitteleuropa.
So unterschiedliche Regionen müssten die Möglichkeit haben, sich unterschiedlich zu organisieren und zu entwickeln, sagt Senatorin Stefani. Genau das ermöglicht die «differenzierte Autonomie»: Italiens Regionen können, wenn sie wollen, in insgesamt 23 Bereichen Kompetenzen vom Zentralstaat an sich ziehen: im Gesundheitswesen, in der Bildung, im Strassenbau, Aussenhandel oder Umweltschutz. «In den Regionen können wir viel angemessener auf die Bedürfnisse der Leute eingehen als im fernen Rom. Das war seit jeher das Credo der Lega», sagt die Senatorin.
Schlechte Gesundheitsversorgung im Süden
Gianfranco Viesti kommt aus dem Süden, aus Apulien. Der Ökonom ist geografisch und inhaltlich an einem ganz anderen Ort zu Hause. Er sagt: «Die Autonomie wird Italien nicht besser, sondern einzig den Norden reicher machen.» Der Norden werde noch mehr Geld für sich behalten, prophezeit Ökonom Viesti. Dabei sei der Süden schon heute benachteiligt und unterversorgt. Er nennt als Beispiel die Spitäler. Die medizinische Versorgung im Süden Italiens sei derart schlecht, dass Leute sterben würden, die man eigentlich retten könnte. Viesti spricht von tausenden vermeidbaren Todesfällen.
Nun befürchten Ökonom Viesti und viele Leute im Süden, dass die Autonomie ihre Regionen noch stärker abhänge. Diese Ängste sind bekannt. Darum hat die Lega eine Art Garantieklausel in ihr Autonomiegesetz eingebaut. Bevor die Regionen zusätzliche Kompetenzen bekommen, muss sichergestellt sein, dass überall in Italien ein Mindestmass an Dienstleistungen gewährleistet ist, zum Beispiel im Gesundheitswesen.
Doch von dieser Garantie hält Gianfranco Viesti rein gar nichts. Leere Phrasen seien das, die nur dazu dienten, die Leute im Süden zu beruhigen. Stefani von der Lega widerspricht. Mit diesen Mindeststandards meine man es ernst.
Sie sagt auch: Italien sei seit seiner Gründung vor über 150 Jahren ein Zentralstaat. Und dieser Zentralstaat habe unter Beweis gestellt, dass er die Ungleichheiten nicht beseitigen könne. Es sei an der Zeit, es mit Autonomie zu versuchen. Auch der Süden könne davon profitieren.
Umstrittenes Autonomiekonzept
Die Autonomie, die das italienische Parlament eben beschlossen hat, nennt man «differenziert». Das heisst: Jede Region kann individuell entscheiden, ob sie gewisse Kompetenzen an sich zieht oder lieber beim Zentralstaat, also in Rom, belässt. Genau das sei ein Problem, sagt Francesco Pallante. Er ist Verfassungsrechtler an der Universität Turin. Denn diese Autonomie «à la carte» werde zu teuren Doppelspurigkeiten und Bürokratie führen.
Erika Stefani, die Senatorin der Lega, spricht von einem Nullsummenspiel. Als Beispiel nennt sie den Strassenbau. Für einen Kilometer neue Strasse gebe es definierte Standardkosten. Unter dem Strich komme es aufs selbe raus, ob der Zentralstaat oder eine Region diese Kosten bezahle. Doch die Gegner wenden ein: Dezentrale Verwaltung sei aufwendiger und teuer. Die beiden Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber.