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Korruption im EU-Parlament Mark Pieth: «Der Korruptionsskandal ist eine Katastrophe»

Säcke voller Geld, Haftbefehle für Abgeordnete: Das EU-Parlament ist im Schockzustand. Der Schweizer Rechtswissenschaftler und Antikorruptionsexperten Mark Pieth ordnet ein und erwartet weitere Enthüllungen.

Mark Pieth

Geldwäschereiexperte

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Pieth ist emeritierter Strafrechtsprofessor und ein international ausgewiesener Experte für Geldwäscherei. 2016 war er Mitglied eines Expertengremiums, das nach dem Panama-Papers-Skandal der Regierung Panamas Vorschläge für transparentere Finanz- und Rechtssysteme machte. Er hat im Jahr 2022 zusammen mit Kathrin Betz das Buch «Seefahrtnation Schweiz» verfasst.

SRF News: Hat Sie die mutmassliche Bestechung von EU-Parlamentariern durch Katar überrascht?

Mark Pieth: Ich war überrascht, was das Europäische Parlament anbelangt. Bei Katar hat man schon lange vermutet, dass diese mit solchen Mechanismen spielen. Dass sie mit Spionage und Manipulation arbeiten. Und vielleicht, dass sie die Weltmeisterschaft durch Bestechung erworben haben. Man hat es nie richtig bewiesen. Das hätte mich aber nicht erstaunt.

Was ist strafbar und was nicht?

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Laut dem Strafrechtler Mark Pieth ist zwischen Lobbyismus und Bestechung zu unterscheiden. «Es gibt für das Parlament Vorschriften zum Lobbying, was erlaubt ist und was nicht.» Diese Vorschriften seien aber sehr stark auf Europa fixiert.

«Aber hier reden wir nicht von Lobbyismus, sondern von effektiver Bestechung», so Pieth. Und da spiele es keine Rolle, wer besteche: «Wenn sich eine Parlamentarierin bestechen lässt, dann wäre sie in der EU strafbar. Der Grund, warum man jetzt ein Strafverfahren eingeleitet hat, ist, weil man dachte, dass sie Meinungen gekauft haben, Stimmungsmache im Parlament direkt gegen Bares.» Das sei schlichte Bestechung.

«Was nicht strafbar ist, ist jemanden einzuladen, im Land herumzuführen und dann schreiben zu lassen, was er will.» Die Grenze sei dort, wo man hohe Summen aufwerfe. Da werde es heikel, so Pieth.

Sehr viele Politiker und Politikerinnen, NGOs und zum Teil auch Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben plötzlich sehr positiv über Katar gesprochen. Muss man da noch mehr erwarten?

Ehrlich gesagt habe ich mich beim Lesen von Berichten gewundert, warum die Leute so positiv über Katar berichten. Ich erwarte, dass da noch mehr ans Licht kommt. Ich denke mir aber auch, dass das Ganze ein wenig naiv war. Man fragt sich, was die erreichen wollten.

Fraktionsvorsitzende wollen Kaili absetzen

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Die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament haben sich einstimmig dafür ausgesprochen, die unter Korruptionsverdacht stehende Eva Kaili als Vizepräsidentin abzusetzen. Dieser Vorschlag sei von der sogenannten Konferenz der Präsidenten getroffen worden, teilte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Dienstag mit. Die endgültige Entscheidung darüber liegt nun beim Plenum des Parlaments, das noch am selben Tag darüber abstimmen sollte.

 Kaili selbst liess über ihren Anwalt am Dienstag ihre Unschuld beteuern. «Ihre Position ist, dass sie unschuldig ist. Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun, überhaupt nichts», sagte Michalis Dimitrakopoulos dem griechischen Fernsehsender Open. Zu Details dürfe er sich nicht äussern. Auch habe er kein Bild davon, ob Gelder gefunden worden seien und wenn ja, welche Summen. Dimitrakopoulos wies jedoch griechische Medienberichte zurück, wonach unter der Kinderwiege der kleinen Tochter von Kaili 160 000 Euro gefunden worden seien.

Jetzt wird ausgerechnet das EU-Parlament, das sich gerne als Vorkämpfer für Rechtsstaatlichkeit und Transparenz versteht, von einem Korruptionsskandal erschüttert. Wie gross ist das Debakel?

Es ist eine absolute Katastrophe. Man hat kürzlich Ungarn und ein Stück weit auch Polen die Leviten gelesen und vorgeworfen, dass sie keine Rechtsstaaten und keine Demokratie seien, sondern korrupt. Und nun passiert das. Das ist hochgradig problematisch. Kommt dazu, dass man noch nicht weiss, wie weit sich die Sache ausbreitet. Es kann gut sein, dass weitere Staaten oder Staatsvertreter beteiligt sind. Momentan wissen wir von Italien und Griechenland. Aber es könnte noch viel grössere Kreise ziehen.

Man weiss noch nicht, wie weit sich die Sache ausbreitet. Es könnte noch viel grössere Kreise ziehen.

Das ist also noch nicht das Ende dieser Affäre?

Das vermute ich. Ganz einfach, weil Katar – man weiss es aber noch nicht – scheinbar in anderen Bereichen so funktioniert hat. Man hat angeblich Hunderte von Millionen ausgegeben, um alle möglichen Leute, die Katar unfreundlich gegenüberstehen könnten, zu manipulieren. Und um umgekehrt Leute zu gewinnen, die später Katar freundlich gegenüber eingestellt waren.

 Das Interview führte Urs Gredig.

10vor10, 12.12.2022, 21:50 Uhr ; 

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