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Netanjahu nennt den Korruptionsprozess politisch motiviert
Aus SRF 4 News aktuell vom 25.05.2020. Bild: Reuters
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Korruptionsfall vor Gericht «Netanjahu gibt sich als Opfer linker Medien und Richter»

In Israel steht mit Benjamin Netanjahu erstmals ein amtierender Ministerpräsident vor Gericht. Netanjahu versuche mit allen Mitteln, den Korruptionsfall in einen politischen zu verdrehen, sagt die Journalistin Gisela Dachs.

Gisela Dachs

Gisela Dachs

Journalistin in Israel

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Die gebürtige Deutsche arbeitet als Journalistin und Publizistin in Israel. Sie ist zudem Professorin am DAAD Center for German Studies und dem European Forum an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Sie lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten mit ihrer Familie in Israel.

SRF News: Wie verlief der Auftakt des Prozesses?

Gisela Dachs: Netanjahu sass beim 50-minütigen Prozessauftakt der Staatsanwältin gegenüber, welche die Anklage gegen ihn zusammengestellt hat. Zuvor hatte er sich vor dem Gerichtssaal mit seinem Regierungskabinett im Rücken den Medien präsentiert und sich als Opfer der Justiz und der Medien dargestellt.

Schwere Korruptionsvorwürfe

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Laut Anklage soll Netanjahu Luxusgeschenke wie Champagner, Zigarren oder Schmuck im Wert von rund 200'000 Franken angenommen haben. Die schenkenden Privatpersonen sollen Gegenleistungen wie Steuervergünstigungen erhalten haben. Schwerer wiegt aber der Verdacht auf Beeinflussung von Medien, um eine bessere Berichterstattung über sich selber zu erreichen. Im Laufe des Prozesses sollen 300 Zeugen auftreten, darunter auch einige Kronzeugen.

Netanjahu wollte beim Prozessauftakt nicht selber erscheinen. Wie begründete die Staatsanwaltschaft, dass er persönlich teilnehmen müsse?

Ganz einfach: Mit der Aussage, dass vor dem Gesetz alle gleich seien. Dazu gehört, dass der Angeklagte zu Beginn eines Prozesses, wenn die Anklageschrift verlesen wird, anwesend ist.

Staatsvertreter Israels vor Gericht

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Der amtierende Premier Netanjahu ist nicht der einzige hochrangige Politiker Israels, der sich in der jüngeren Geschichte einem Gerichtsprozess stellen muss. Zwei Beispiele.

  • Ehud Olmert war von 2006 bis 2009 Ministerpräsident Israels. Er stand bis 2015 mehrmals wegen Korruptionsvorwürfen, Betrugs und Untreue vor Gericht. Er wurde wegen Untreue 2015 zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt und 2017 nach 16 Monaten vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.
  • Mosche Katzav war von 2000 bis 2007 israelischer Staatspräsident Israels. Er wurde im März 2009 wegen Vergewaltigung und sexueller Übergriffe gegenüber Frauen zu sieben Jahren Haft sowie zwei Jahren Bewährungsstrafe verurteilt. Er wurde 2016 vorzeitig entlassen.

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Netanjahu hat diesen Prozess als «Witz» bezeichnet – er nimmt ihn aber trotzdem ernst?

Es bleibt ihm nichts anderes übrig. In der Vergangenheit wurden schon mehrmals hohe Politiker angeklagt und schliesslich auch verurteilt. Netanjahu versucht nun, dem Prozess eine grössere Bedeutung zu verleihen, indem er behauptet, mit ihm sitze die gesamte Rechte Israels auf der Anklagebank. Er stilisiert sich als Opfer der linken Medien und Richter, die aus kleinen Details etwas aufbauschen würden, um ihn als Premier abzusetzen.

Demonstranten mit Transparenten.
Legende: Die Gegner Netanjahus nennen dessen Verhalten eine Schande. Reuters

Ist vorhersehbar, wie lange der Prozess dauern wird?

Der nächste Termin ist für den 19. Juli angesetzt, dann ohne Netanjahu persönlich. Seine Anwälte wollten die Verhandlung sogar bis März 2021 aufschieben. Damit kamen sie aber nicht durch. Grundsätzlich könnte der Prozess Jahre dauern, doch die Richter und Staatsanwälte machen nicht den Eindruck, dass sie den Prozess unnötig hinauszögern wollen.

Die Anhänger Netanjahus machen aus dem Prozess eine Glaubensfrage.

Interessiert der Prozess die israelische Bevölkerung überhaupt?

In der Tat polarisiert der Prozess die israelische Gesellschaft. Vor dem Gerichtsgebäude gab es Demonstrationen pro und kontra Netanjahu. Die Anhänger Netanjahus machen daraus eine Glaubensfrage: Entweder man sei dafür oder dagegen. Die andere Seite sagt, es sei eine Schande, dass der Ministerpräsident Israels auf der Anklagebank sitze. Durch den Prozess steht auch die israelische Justiz auf dem Prüfstand.

Protestierende mit Transparenten.
Legende: Die Anhänger Netanjahus machen den Prozess zur Glaubensfrage. Reuters

Muss Netanjahu im Fall einer Verurteilung mit einer Gefängnisstrafe rechnen?

Es kommt auf die Schwere der allfälligen Verurteilung an. Spekuliert wird auch, ob eine Einigung – etwa im Gegenzug zu einem Rücktritt Netanjahus – noch möglich ist. Eine – wenn auch wenig wahrscheinliche Option – ist zudem, dass sich Netanjahu in anderthalb Jahren zum Staatspräsidenten wählen lassen könnte. Dann würde er von einer siebenjährigen Immunität profitieren. Der Prozess könnte in diesem Fall erst danach fortgeführt werden.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

Video
Israel: Prozessbeginn gegen Netanjahu
Aus Tagesschau vom 24.05.2020.
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SRV 4 News aktuell vom 25.5.2020, 06.20 Uhr;

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