In der Ukraine ist der Leiter des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, zurückgetreten. Das teilte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in einer Videobotschaft mit und kündigte einen Umbau des Präsidentenbüros an. Die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft hatte am frühen Morgen eine Razzia in der Wohnung von Jermak durchgeführt. SRF-Osteuropa-Korrespondentin Judith Huber zu den politischen Auswirkungen dieses Rücktritts.
Wie überraschend ist der Rücktritt von Andrij Jermak?
Schlussendlich ist es nicht ganz überraschend, obwohl es dann sehr schnell passierte. Noch letzte Woche weigerte sich Präsident Wolodimir Selenski, Jermak zu entlassen, als eine Parlamentariergruppe das von ihm forderte, auch aus der Partei des Präsidenten. Man hatte zwar keine Beweise, dass Jermak direkt in die Korruption verwickelt ist, aber viele störten sich schon lange an seiner Machtfülle. Man war der Ansicht, dass Jermak von den korrupten Praktiken zumindest gewusst haben musste. Vielleicht hat er die Korruption auch orchestriert, Hinweise darauf gibt es. Genaueres werden die Ermittlungen zeigen.
Was bedeutet der Vorgang für die Ukraine?
Durch den Korruptionsskandal ist viel Vertrauen in die Regierung und in den Präsidenten verloren gegangen. Ohne den Rücktritt von Jermak wäre es nicht möglich, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Nach der Hausdurchsuchung bei Jermak war es für Selenski offenbar nicht mehr möglich, ihn zu halten. Man kann davon ausgehen, dass Jermak seinen Rücktritt mit dem Präsidenten abgesprochen hat und dass dies die einzige Möglichkeit ist, dass Selenski einigermassen unbeschadet aus dieser Krise herauskommt. Und dass Selenski damit demonstrieren kann, dass er Korruption nicht duldet. Es geht auch darum, dass Selenski das Vertrauen in sich und in die Regierung wieder herstellen muss.
Könnte Jermaks Rücktritt auch eine Chance sein?
Ja, durchaus, denn Jermak hat schon lange als sehr mächtige, aber intransparente Figur im Hintergrund die Fäden gezogen. Selenski hat sich sehr stark auf ihn verlassen; er war sozusagen Selenskis rechte Hand. Aber er ist auch die Verkörperung eines sehr zentralistischen Systems, das Selenski aufgebaut hat, in dem Loyalität mehr zählt als Kompetenz, wo die Regierung immer mehr aus Figuren besteht, die eher Ausführende sind. Eigentlich funktioniert die Gewaltenteilung nicht mehr so richtig. Das ist vielleicht nun die Chance, dass dieses System aufgebrochen wird und neue Figuren kommen. Das hängt nun auch vom Druck ab, den die Gesellschaft und das Parlament machen.
Was heisst das mit Blick auf die Bekämpfung der Korruption?
Das Positive daran ist, dass die Antikorruptionsermittler gezeigt haben, dass auch der zweitmächtigste Mann im Staat nicht unantastbar ist. Dies ist aber auch nur gelungen, weil die Zivilgesellschaft die Antikorruptionsbehörden unterstützt hat: Es gab deswegen ja im Sommer Proteste, als der Präsident die Antikorruptionsbehörden seiner Kontrolle unterstellen wollte. Wäre ihm das damals gelungen, wäre dieses Korruptionsschema wohl kaum publik geworden. Was ich in den letzten Tagen in der Ukraine festgestellt habe, ist: Die Toleranz für Korruption wird immer kleiner. Während man früher mit Schulterzucken gesagt hat, die sind halt korrupt, so ist das heute nicht mehr so. Die Menschen wissen, dass Korruption das Land schwächt, was jetzt, wo es um die Existenz des Landes geht, einfach nicht mehr toleriert werden darf. Und das ist wohl die gute Nachricht am Ganzen.