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Korsika-Gespräche «Eine neue Perspektive für Korsika»

Auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika wollen die Wählerinnen und Wähler mehr Autonomie. Sie brachten im Dezember eine korsisch-nationalistische Regierung an die Macht. Nun beginnen in Paris Gespräche über mehr Unabhängigkeit. Wohin diese führen könnten, weiss SRF-Korrespondent Charles Liebherr in Paris.

SRF News: Die korsischen Nationalisten haben die Wahlen gewonnen, dominieren nun das Inselparlament und stellen die Regierung. Was heisst das für den Besuch der Politiker in Paris?

Charles Liebherr: Sie kommen in einer starken Position in die französische Hauptstadt. Das Nationalisten-Bündnis verfügt im neu gewählten korsischen Parlament über die absolute Mehrheit der Sitze. Seit 2014 hat es alle Wahlen auf der Insel gewonnen, die anderen Parteien sehen sich an die Wand gedrückt. In der Nationalversammlung in Paris gehören drei der vier korsischen Abgeordneten dem nationalistischen Lager an. Das gibt den Nationalisten genügend Legitimität, jetzt gegenüber der französischen Regierung geschlossen auf- und ihre Interessen in den anlaufenden Verhandlungen mutig zu vertreten.

Korsika-Gespräche

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In Paris empfängt Premierminister Edouard Philippe heute den Chef der korsischen Regionalregierung Gilles Simeoni und den Präsidenten des korsischen Parlaments, Jean-Guy Talamoni. Es ist dies der Auftakt von Verhandlungen, die wohl mehrere Jahre lang dauern werden.

Mit welchen Forderungen reiste die Delegation nach Paris?

Es sind zwei symbolische Forderungen und eine handfeste: So wollen die Nationalisten eine Anerkennung der korsischen Sprache als regionale Amtssprache. Auch sollen verurteilte korsische Nationalisten ihre Gefängnisstrafe in Korsika verbüssen können. Das sind die beiden eher symbolischen Forderungen.

Für mehr Finanz-Autonomie muss die französische Verfassung geändert werden. Entsprechend komplizierte Verhandlungen stehen an.

Wichtiger, grösser und viel komplizierter ist die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung der Insel. In den Augen der Nationalisten geht das nur mit mehr Autonomie. Dazu gehört etwa das Recht, regionale Steuern zu erheben und auch selber zu entscheiden, wie sie ausgegeben werden. Damit dies dauerhaft verankert werden kann, ist eine Änderung der französischen Verfassung nötig. Das ist zwar nicht unmöglich, aber die Hürde ist hoch. Der französische Zentralismus sieht so etwas bis heute nicht vor. Entsprechend komplizierte Verhandlungen stehen jetzt bevor.

Zwei Männer im Blitzlichtgewitter von Fotografen, es wehen Korsika-Fahnen.
Legende: Parlamentspräsident Jean-Guy Talamoni und Regierungschef Gilles Simeoni feiern am 10. Dezember ihren Wahlsieg. Keystone Archiv

Bei welchen dieser Punkte sehen Sie Erfolgschancen?

Kompromisse sind in allen Dossiers möglich. Als Ausgangspunkt für die Verhandlungen ist das gar nicht so schlecht: Das Korsische wird wohl kaum offizielle Amtssprache neben dem Französischen. Aber eine Aufwertung ist etwa durch mehr Korsisch-Stunden in der Schule durchaus möglich. Auch dürfte die Regierung in Paris bei den inhaftierten Straftätern Zugeständnisse machen, jedoch kaum bei verurteilten Mördern.

Korsika ist zu stark vom Tourismus und von der öffentlichen Verwaltung abhängig. Das Unternehmertum muss gefördert werden.

Die grössten Fortschritte darf man jedoch beim Thema wirtschaftliche Entwicklung der Mittelmeerinsel erwarten. Hier haben beide Seiten am meisten zu verlieren – und zu gewinnen. Unbestritten ist die korsische Wirtschaft zu stark von Tourismus und öffentlicher Verwaltung abhängig. Deshalb sind sich Paris und Ajaccio einig, dass das Unternehmertum zu fördern sei. So könnten etwa Steueranreize geschaffen werden, damit im Endeffekt neue Stellen entstehen – etwa im Umwelttechnologie-Sektor.

Die Politiker aus Korsika wollen nach drei Jahren Verhandlungen mit Paris einen Status erreichen, welcher der Insel mehr Autonomie zugesteht. Wie ehrgeizig ist dieser Plan?

Sehr ehrgeizig – aber auch nötig. Die französische Regierung weiss, dass für die Nationalisten viel auf dem Spiel steht. So schreibt heute ein Kommentator in einer französischen Zeitung treffend, dass kein Misstritt erlaubt ist («Fauxpas interdit»). Die korsischen Nationalisten müssen ihren Wählern auf der Insel relativ rasch Resultate präsentieren können. Denn darauf beruht der Kompromiss des nationalistischen Bündnisses: Die Forderung einer Abspaltung von Frankreich wird zugunsten eines pragmatischen Weges über Verhandlungen mit Paris zurückgestellt.

Für beide Seiten eröffnet sich jetzt eine grosse Chance, die sie auch nutzen möchten.

Nur wenn das auch tatsächlich gelingt, ist die Gefahr neuer politischer Gewalt auf Korsika dauerhaft gebannt. Deshalb eröffnet sich für beide Seiten jetzt eine grosse Chance, die sie auch nutzen möchten. Zwar sind die Interessen teilweise unterschiedlich. Doch das Bewusstsein ist beidseits vorhanden, dass es an der Zeit ist, Korsikas Bevölkerung eine neue politische Perspektive zu geben.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

Charles Liebherr

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Seit 2014 ist Charles Liebherr Frankreich-Korrespondent von Radio SRF. Er studierte in Basel und Lausanne Geschichte, Deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie. Davor war er beim Schweizer Radio unter anderem als Wirtschaftsredaktor tätig.

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