Zwischen Kosovo und Serbien ist es Ende Jahr erneut zu Spannungen gekommen. Diese wurden zwar inzwischen entschärft, von einer Normalisierung der Beziehungen sind Kosovo und Serbien aber noch weit entfernt. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und auch Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti sind ans WEF gereist. Beide weibeln für ihre Sache. Im Interview gibt sich Kurti wenig kompromissbereit.
SRF News: Die Spannungen haben in Kosovo in den letzten Monaten wieder zugenommen. Wer trägt dafür die Hauptverantwortung?
Serbien unterhält 48 vorgelagerte Operationsbasen des Militärs und der Polizei um die Grenze zu Kosovo im Umkreis von weniger als fünf Kilometern. Serbien hat letztes Jahr Vereinbarungen mit dem Kreml getroffen, um billiges Gas aus Russland zu bekommen. Die Aussenminister Serbiens und Russlands trafen sich in New York, um die Aussenpolitik abzustimmen. Gleichzeitig wurde der prorussische, serbische Politiker zum Leiter des Geheimdienstes ernannt.
Ich glaube nicht, dass wir Kompromisse eingehen können, wenn es um unsere Unabhängigkeit, unsere Freiheit, geht.
Um unsere Beziehungen steht es also nicht gut, weil Serbien uns ständig provoziert, und Kosovo in einen dysfunktionalen Zustand versetzen will.
Es gibt aber auch Kritik von Diplomatinnen und Diplomaten der EU und den USA an Ihnen, nämlich dass Sie nicht zu Kompromissen bereit seien. Giessen Sie nicht auch Öl ins Feuer?
Ich war prinzipientreu und habe die territoriale Integrität, Souveränität und Demokratie unseres Landes verteidigt. Wir sind ein junger Staat, aber ein altes Volk. Wir können die Funktionalität unseres Staates und die territoriale Integrität, die Integrität der Grenzen nicht aufgeben. Serbien ist kein demokratisches Land.
Deshalb müssen wir sehr wachsam und vorsichtig sein. Ich glaube nicht, dass wir Kompromisse eingehen können, wenn es um unsere Unabhängigkeit, unsere Freiheit, geht. Serbien sollte sich vom Regime Milosevics distanzieren, das vor 24 Jahren Völkermord beging. Und Serbiens Regierung muss sich vom Putin-Regime distanzieren, womit es eng zusammenarbeitet.
Sie senden Spezialeinheiten in den von der serbischen Bevölkerung bewohnten Norden Kosovos. Weshalb?
Wir unterscheiden Menschen nicht nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sondern nach ihrem Verhalten. Unsere Polizisten sind sehr professionell. Sie wurden sowohl von der EU als auch von uns ausgerüstet und geschult. Wir arbeiten eng mit der KFOR und Organisationen der EU zusammen. Deshalb werden wir das Recht unserer Polizisten, Kriminelle zu verhaften, nicht aufgeben. Wir haben im Norden zum Beispiel fünf Drogenlabors zerstört.
Wie hoch schätzen Sie die Risiken ein, dass die Lage – wie bereits in der Vergangenheit – eskalieren könnte?
Das hängt von Belgrad ab, muss ich sagen, denn sie provozieren uns ständig. Es wurde dokumentiert, dass Söldner der Wagner-Gruppe und andere Paramilitärs, die vom Kreml finanziert und gesteuert werden, bei den vorgelagerten Operationsbasen waren. Es besteht die Gefahr, dass Serbien etwas unternimmt.
Unser Hindernis für den EU-Beitritt ist nicht Serbien, sondern die fünf Staaten, die uns nicht anerkennen.
Kosovo möchte sowohl der EU als auch der Nato beitreten. Wie realistisch ist das, bevor die Beziehungen mit Serbien normalisiert werden?
Der EU- und der Nato-Beitritt haben eigentlich nichts mit Serbien zu tun. Denn Serbien will der Nato nicht beitreten und hat zudem ein Problem mit der EU. Und die EU hat wegen Serbiens Verbindungen zu Russland ein Problem. Unser Hindernis für den EU-Beitritt ist nicht Serbien, sondern die fünf Staaten, die uns nicht anerkennen: Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern. Vier von ihnen sind auch Nato-Mitglieder. Aber wir geben trotzdem nicht auf.
Sie haben sich hier am WEF auch mit Schweizer Bundesratsmitgliedern getroffen. Was erwarten Sie von der Schweiz?
In der Schweiz leben über 200'000 Bürgerinnen und Bürger aus Kosovo. Sie senden Geld nach Hause und helfen unserer Wirtschaft und ihren eigenen Familien. Die Schweiz ist für uns auch wegen ihres Know-hows wichtig. Viele kehren zurück aus der Schweiz und gründen in Kosovo Unternehmen. Wir haben vom dualen Bildungssystem der Schweiz gelernt. Derzeit sind wir in Verhandlungen mit der Schweiz für ein Freihandelsabkommen.
Das Gespräch führten Sebastian Ramspeck und Martin Aldrovandi.