Zum Inhalt springen

Krieg im Kaukasus Bergkarabach: Flucht mit Ankündigung

Es blieb nichts anderes als die Kapitulation: Für die Führung der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach gab es keinen anderen Ausweg, als auf die Forderungen Aserbaidschans einzutreten. Der vereinbarte Waffenstillstand bringt die ethnischen Armenier in der Region Bergkarabach damit aus unmittelbarer Lebensgefahr, doch ihr Überleben in Zukunft ist ungewiss. 

Ständige Bedrohungslage

Aserbaidschan brachte innerhalb von 24 Stunden zu Ende, was Präsident Ilham Alijew 2020 mit seinem Krieg erreichen wollte: Die Region Bergkarabach dürfte künftig vollständig von Aserbaidschan kontrolliert werden.

Nach dem Waffenstillstandsabkommen vom November 2020 war absehbar, dass die ethnischen Armenier in der Region Bergkarabach einer ungewissen Zukunft entgegenblickten, da sie seither faktisch umstellt waren von aserbaidschanischen Truppen. Immer wieder liess Aserbaidschan dies die Menschen vor Ort spüren, zuletzt mit einer neunmonatigen Blockade der einzigen Zufahrtsstrasse nach Bergkarabach.

Kein Kampf auf Augenhöhe

Trotz dieser Eskalation mit Ankündigung war die Zivilbevölkerung dem Angriff der aserbaidschanischen Streitkräfte in den vergangenen Stunden fast vollkommen schutzlos ausgeliefert. Die lokalen Kämpfer können den modern ausgerüsteten Streitkräften Aserbaidschans kaum etwas entgegensetzen.

Mit dem Öl- und Gasexport finanziert sich Aserbaidschan eine der grössten Armeen der Region und kauft in Israel und der Türkei Drohnen.

Kein Schutz durch Russland

Um den Waffenstillstand und die Sicherheit der Zivilisten vor Ort zu garantieren, sind 2000 russische Soldaten als Friedenstruppe vor Ort. Doch das Schutzmandat haben die russischen Soldaten klar nicht erfüllt. Auch wenn über russische Propagandakanäle Bilder von heroischen Rettungseinsätzen gezeigt werden, erzählen Menschen vor Ort oft von unterlassener Hilfeleistung. 

Zwischen politischen Fronten

Um die Zivilisten vor Ort zu schützen, fehlt Russland nicht nur die politische Kraft, sondern auch der politische Wille. Der Krieg gegen die Ukraine hat Russland in den vergangenen eineinhalb Jahren stark geschwächt und mit dem demokratisch gewählten Premierminister von Armenien, mit dem der Waffenstillstand 2020 mit ausgehandelt wurde, sind die politischen Gräben zuletzt immer tiefer geworden.

Von offizieller Seite wirft Russland Nikol Paschinjan vor, für die Situation verantwortlich zu sein, da er sich Unterstützung aus dem Westen geholt habe. Aus Sicht Moskaus kommt dies einem Hochverrat gleich. 

Kein Vertrauen

Beim für Donnerstag angekündigten Treffen zwischen Vertretern der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach und Aserbaidschan ist Russland offiziell nicht zugegen. Die Rolle der russischen Friedenstruppen bei der Aushandlung des Friedensabkommens scheint mehr eine Formsache.

Takt und Inhalt werden von Aserbaidschan vorgegeben. Für die ethnischen Armenier in der Region Bergkarabach bedeutet dies eine Zukunft in Unsicherheit. Von offizieller Seite heisst es aus Aserbaidschan, es gebe Pläne zur Integration der ethnischen Armenier. Diesen Zusicherungen traut niemand in der Region Bergkarabach.

Die Flucht vieler Menschen aus der Region scheint zum aktuellen Zeitpunkt bereits unausweichlich zu sein.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

 

Echo der Zeit, 20.9.2023, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel