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Russlands Biowaffen-Vorwurf nur ein Vorwand?
Aus Echo der Zeit vom 11.03.2022. Bild: Imago
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Krieg in der Ukraine «Der Einsatz von Chemiewaffen ist eigentlich ausgeschlossen»

Derzeit ist vom Risiko eines russischen Einsatzes von Chemiewaffen im Krieg gegen die Ukraine die Rede. Bisher handelt es sich allerdings um Spekulationen. Das Chemiewaffenverbot wurde von mehr als 190 Länder unterzeichnet – dennoch bleibt die Angst. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Ukraine-Krieg C-Waffen eingesetzt werden? Fragen und Antworten mit Fredy Gsteiger, SRF-Korrespondent für internationale Diplomatie.

Fredy Gsteiger

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Warum sind Chemiewaffen verboten und warum verschwinden sie trotzdem nicht?

Chemiewaffen widersprechen – genauso wie Atomwaffen und biologische Waffen – dem humanitären Kriegsvölkerrecht. Laut diesem sind alle Waffen illegal, bei deren Einsatz sich nicht unterscheiden lässt zwischen Kombattanten, also Soldaten und anderen Kämpfern einerseits und Zivilisten andererseits. Bei Massenvernichtungswaffen, die riesige Gebiete verstrahlen, verseuchen oder vergiften, ist diese Unterscheidung unmöglich.

Chemiewaffen widersprechen – genauso wie Atomwaffen und biologische Waffen – dem humanitären Kriegsvölkerrecht.

Im Fall der Chemiewaffen ist das Verbot ausdrücklich in der internationalen Chemiewaffenkonvention festgeschrieben, die 1997 in Kraft trat. Als Folge wurden bisher gut 95 Prozent aller Chemiewaffenbestände weltweit vernichtet, was aufwändig, teuer und auch nicht ungefährlich ist. Um das Verbot durchzusetzen, wurde eigens die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen gegründet, die OPCW mit Sitz in Den Haag. Sie führt in allen Mitgliedsländern regelmässig Inspektionen durch und überwacht die Vernichtung von Chemiewaffen.

Biologische Waffen wiederum sind durch die internationale Biowaffenkonvention verboten. Bei Atomwaffen gilt der Atomsperrvertrag, der es Ländern verbietet, Atomwaffen herzustellen und die «alten Atommächte» USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien verpflichtet, ihre Bestände zu liquidieren – was sie aber nicht tun. Auch bei Bio- und Chemiewaffen gibt es einige wenige Länder, die illegal und abkommenswidrig solche Massenvernichtungswaffen in ihren Arsenalen haben.

Welche Mächte verfügen über Chemiewaffen? Auch die Ukraine?

Die allermeisten Länder gelten heute als chemiewaffenfrei. Die USA sollten ihre letzten verbleibenden Chemiewaffen in wenigen Jahren liquidiert haben. Russland wurde von der OPCW 2017 als chemiewaffenfrei erklärt. Allerdings hat es offenbar gewisse chemische Kampfstoffe behalten und sie gegen Geheimdienstüberläufer und Oppositionelle eingesetzt.

Es gibt auch die sehr plausible Vermutung, dass Nordkorea – das dem Chemiewaffenverbot nie beigetreten ist – einsatzbereite C-Waffen besitzt. Syrien wiederum, das offiziell seine Arsenale vernichtete, hat dabei offenbar getrickst und Bestände zurückbehalten und in den vergangenen Jahren eingesetzt gegen die eigene Bevölkerung. Auch nichtstaatliche Gruppierungen, etwa Terrororganisationen, können Chemiewaffen besitzen; in Syrien etwa wurden solche auch durch den sogenannten «Islamischen Staat» eingesetzt.

Ein Graffiti zum Gedenken an die Opfer des chemischen Angriffs in einem Aussenbezirk .
Legende: Ein Graffiti zum Gedenken an die Opfer des chemischen Angriffs in einem Aussenbezirk von Damaskus, Syrien: Am 21. August 2013 wurde Ghouta mit Sarin bombardiert, einem chemischen Kampfstoff, der das Nervensystem angreift und nach dem Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) als Massenvernichtungswaffe verboten ist. Keystone

Die Ukraine wiederum gilt als chemiewaffenfrei und besitzt, laut seriösen Quellen, auch keine biologischen Waffen. Das hat vorige Woche die oberste UNO-Abrüstungschefin bestätigt. Und es entspricht den Informationen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri.

Wie realistisch ist der Einsatz solcher Waffen im Ukraine-Konflikt?

Nach dem, was bekannt ist, besitzt die Ukraine keine Chemiewaffen. Und Russland hat seine Bestände offiziell ebenfalls vollumfänglich vernichtet. Daran bestehen allerdings Zweifel. Das heisst: Eigentlich sollte es ausgeschlossen sein, dass im russischen Krieg gegen die Ukraine Chemiewaffen zum Einsatz gelangen. Doch eine Garantie dafür gibt es nicht. Einzelne Beobachter vermuten, Moskau werfe der Ukraine die Entwicklung von biologischen und chemischen Waffen vor, um selber solche Waffen einzusetzen und das den Ukrainern in die Schuhe zu schieben. Doch einstweilen ist das Spekulation.

Eigentlich sollte es ausgeschlossen sein, dass im russischen Krieg gegen die Ukraine Chemiewaffen zum Einsatz gelangen. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

Welche chemischen Waffen gibt es und warum sind sie so gefährlich?

Die Palette ist breit. Für viele chemische Stoffe gibt es auch zivile und legale Verwendungen. Weshalb sie sich nicht generell verbieten lassen. Unterschieden werden die chemischen Kampfstoffe je nachdem, welche Organe sie primär angreifen. So gibt es unter anderem Lungenkampfstoffe (etwa Chlor), Blutkampfstoffe, Hautkampfstoffe (darunter Senfgas) oder Nervenkampfstoffe (Sarin, Nowitschok oder VX) und einige weitere.

Beim Einsatz von C-Waffen – etwa mit Raketen oder durch Abwürfe aus Flugzeugen – können nicht gezielt Soldaten oder militärische Anlagen angegriffen werden. Betroffen ist praktisch immer auch oder sogar hauptsächlich die Zivilbevölkerung. Dazu kommt, dass C-Waffen besonders grausam wirken und auch deshalb geächtet sind.

Von C-Waffen betroffen ist praktisch immer auch oder sogar hauptsächlich die Zivilbevölkerung.

Häufig werden deshalb chemische Kampfstoffe als Terrorwaffen bezeichnet, weil weniger ein klar definiertes militärisches Ziel im Vordergrund steht, sondern die Absicht, Angst und Schrecken zu verbreiten und die Bevölkerung zu demoralisieren.

Echo der Zeit, 11.03.2022, 18 Uhr

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