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Journalist Moritz Gathmann über den Kriegsalltag in Kiew
Aus SRF 4 News aktuell vom 24.03.2022. Bild: Keystone
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Krieg in der Ukraine «In Kiew ist tatsächlich so etwas wie Kriegsalltag eingetreten»

Viele flüchten, wollen weg aus der Ukraine. Einer, der den umgekehrten Weg eingeschlagen hat, ist Moritz Gathmann. Der Journalist und Ukraine-Kenner befindet sich derzeit in Kiew. Davor war er einige Tage in Lwiw, auch bekannt als Lemberg. Er beobachtet eine Art Kriegsalltag.

Moritz Gathmann

Moritz Gathmann

Journalist

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Moritz Gathmann ist Chefreporter des deutschen Magazins «Cicero». Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.


SRF News: Sie sind am Abend mit dem Zug in Kiew angekommen. Wie erlebten Sie die Nacht in der ukrainischen Hauptstadt?

Moritz Gathmann: Ich bin nach der Sperrstunde angekommen und habe gleich am Bahnhof gemerkt, dass die Stadt komplett schwarz ist. Bei grossen Gebäuden sieht man, dass vielleicht ein Zehntel der Fenster beleuchtet ist. Sehr viele Menschen haben die Stadt verlassen. Der Grund ist, dass man hier ständig den Krieg hört. Er spielt sich vor allem in den nördlichen und östlichen Vororten ab. Man hört Granateinschläge oder Raketen. Zum Teil fliegen sie auch bis in die nördliche Innenstadt, immer wieder hört man auch Luftalarm. Aber da, wo ich bin, ist es relativ sicher.

Wie funktioniert das Leben in dieser Stadt?

Inzwischen ist es wieder einigermassen geordnet, kann man sagen. Es gab eine Zeit in den ersten zwei Wochen, in der auch die grossen Brücken über den Dnepr gesperrt waren. Das heisst, man kam gar nicht mehr aus dem westlichen in den östlichen Teil der Stadt und umgekehrt. Es gab viele Strassensperren. Die gibt es immer noch. Aber man kann sich tagsüber frei bewegen. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist auch noch gut, die Metro fährt. Es ist eine gewisse Normalität zurückgekehrt.

blauer Metrowagen an einer Station
Legende: Die Kiewer Untergrundbahn setzt ihren Betrieb fort, trotz der russischen Angriffe. Reuters

Sie waren davor in Lemberg (Lwiw). Was haben Sie dort beobachtet?

Das Interessante war: Gestern war wirklich ein schöner Frühlingstag. Es war warm, die Sonne schien und man hatte fast den Eindruck, als wäre alles normal. Die Menschen sind spazieren gegangen, Cafés haben geöffnet, auch alle möglichen Läden. Das heisst, in Lemberg spielt sich das Leben fast normal ab. Es gibt auch nicht mehr diesen grossen Flüchtlingsstrom. Menschen, die dort ankommen, ziehen gleich weiter in Richtung Westeuropa. An der Grenze gibt es nicht mehr so grosse Staus.

Dann sind Sie nach Kiew gefahren. Was haben Sie da beobachtet?

Viele sagen, sie können immer noch nicht glauben, was da mit ihnen passiert. Es war ein friedliches Land, das nicht geplant hat, Russland zu überfallen. Die Menschen sind einfach aus ihrem Alltag gerissen worden.

Dieser Monat, den sie durchgehalten haben, hat die Ukrainer darin bestärkt, dass sie diesen Krieg am Ende gewinnen können.

Und sie sind nicht bereit, aufzugeben. Es gab ja in Westeuropa Appelle, dass sie sich mit Russland einigen sollten, Kompromisse eingehen oder aufgeben sollten. Aber dazu sind die Ukrainer nicht bereit. Sie sind, kann man sagen, siegesgewiss. Dieser Monat, den sie durchgehalten haben und die Russen eben nicht ihren Plan haben ausführen lassen, hat die Ukrainer darin bestärkt, dass sie diesen Krieg am Ende gewinnen können.

Rüstung vor Sperre aus Autoreifen.
Legende: Strassensperren gibt es immer noch, wie diese mit einer Ritterrüstung als Wachmann. Keystone

Sie waren zu Kriegsbeginn im Land. Hat es sich stark verändert?

Ja. In den ersten zwei Wochen herrschte wirklich Panik. Menschen sind aus ihren Häusern geflohen, haben das Nötigste mitgenommen, haben versucht, einen der Züge zu kriegen, weil sie das Gefühl hatten, es könnte der letzte Zug sein, der aus ihrer Stadt fährt. Jetzt ist diese Panik verflogen. Es ist tatsächlich so etwas wie Kriegsalltag eingetreten.

Es gibt in der Westukraine auch einige Betriebe, die wieder die Arbeit aufnehmen.

Ich habe auch Menschen getroffen, die zurückgekommen sind. Zum Teil sind es Ukrainerinnen und Ukrainer, die Verwandte holen wollen, die noch hier sind. Oder Ukrainer, die einfach zurückkehren. Männer, die sagen, wir müssen jetzt unser Land verteidigen und es am Laufen halten. Es gibt in der Westukraine auch einige Betriebe, die wieder die Arbeit aufnehmen.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 24.03.2022, 06:20 Uhr;

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