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Krieg in der Ukraine Lettland demontiert Denkmäler aus der Sowjetzeit

Erinnerungen an die Sowjetzeit sind im Baltikum allgegenwärtig. Vielen sind sie ein Dorn im Auge. Wegen des Ukrainekrieges will man die Relikte nun so schnell wie möglich loswerden.

Das passiert gerade in Riga: In der lettischen Hauptstadt hat diese Woche der Abbruch eines Denkmals für sowjetische Kämpfer begonnen. Das Monument steht in einem Park im Zentrum von Riga. Es besteht aus einem 79 Meter hohen Obelisken und mehreren Bronzeskulpturen. Der Abriss der Skulpturen hat bereits am Dienstag begonnen. Als Nächstes ist der Obelisk an der Reihe. Das Denkmal wurde 1985 im Gedenken an den sowjetischen Sieg über die Nazis und an die Befreiung Lettlands vom Faschismus errichtet, also zu der Zeit, als Lettland noch sowjetisch war.

Diese Bedeutung hat das Denkmal: Das Denkmal polarisiert schon seit Jahrzehnten. «Es geht dabei um verschiedene Erinnerungskulturen angesichts einer sehr schmerzhaften Geschichte», erklärt SRF-Auslandredaktorin Judith Huber. «Denn Lettland war ja im Zweiten Weltkrieg abwechselnd von Deutschland und der Sowjetunion besetzt und war nach Kriegsende unfreiwillig Teil der Sowjetunion.»

In der Erinnerung dieser Menschen ist und bleibt die Rote Armee die Befreierin des Baltikums.
Autor: Judith Huber SRF-Auslandredaktorin

Ein Grossteil der Bevölkerung denke beim Denkmal deshalb nicht an den Sieg über die Nazis, sondern an die Besetzung des Landes durch die Sowjets und an die Verschleppung von Tausenden von Menschen nach Sibirien. Lettland hat aber auch eine grosse russische und russischsprachige Minderheit. Sie entspricht etwa einem Drittel der Bevölkerung. «Viele von ihnen halten das Geschichtsbild Russlands hoch, das den Sieg über Nazideutschland als zentral ansieht und diesen auch jedes Jahr am 9. Mai feiert.» In der Erinnerung dieser Menschen sei die Rote Armee eben die Befreierin des Baltikums, so Huber.

Denkmal, Obelisk und Besucher vornedran
Legende: Für viele aus der russischen Minderheit ist das Denkmal der zentrale Identifikationsort. Am 9. Mai brachten diese Menschen jeweils Blumen zum Denkmal und gedachten der Angehörigen, die im Kampf gegen Hitlerdeutschland gefallen sind. «Das ist eine sehr emotionale Angelegenheit, vor allem für die ältere Bevölkerung», sagt Judith Huber. Reuters/Ints Kalnins (Archivbild vom 9. Mai 2021)

So fiel der Entscheid zum Abriss: Wegen des Kriegs in der Ukraine hat das lettische Parlament mit grosser Mehrheit entschieden, das Monument mitten in Riga zu demontieren. «Dabei hat sich Lettland nach der Unabhängigkeit ja eigentlich verpflichtet, die sowjetischen Denkmäler zu erhalten», erklärt die Auslandredaktorin. «Doch mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine fühlt man sich nun nicht mehr an den Vertrag gebunden.» Und auch ein Grossteil der Bevölkerung sei dafür. «Denn der Krieg hat die Karten neu gemischt und man fühlt sich auch in Lettland bedroht vom Nachbarn Russland – einem Land, das versucht, mit Gewalt Gebiete der ehemaligen Sowjetunion zurückzuholen.»

So reagiert Russland darauf: Moskau ist über die Demontage verärgert. Der Bürgermeister von Riga befürchtet Gegenmassnahmen und eine Zunahme politischer Spannungen. «Russland spricht von Vertragsbruch», sagt Huber. In Lettland habe es aber bisher kaum Proteste gegeben, und kleinere Versuche wurden gleich von der Polizei unterbunden.

«Ob Russland sich zu Massnahmen veranlasst sehen wird, wissen wir nicht», sagt sie weiter. «Aber die Töne aus Moskau gegenüber dem Baltikum sind sowieso seit langem so feindselig, dass es auf diesen Abriss vielleicht gar nicht mehr so sehr ankommt.» Komme hinzu, dass wegen des Krieges in allen drei baltischen Staaten Denkmäler aus der Sowjetzeit abgerissen oder verlegt werden, nicht nur in Lettland.

Tagesschau, 25.08.2022, 19:30 Uhr ; 

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