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Krieg in der Ukraine Polen werden skeptischer gegenüber ukrainischen Flüchtlingen

Die Solidarität in Polen war riesig, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. Seither gilt Polen als eines der wichtigsten Aufnahmeländer für ukrainische Geflüchtete. Bis zu 1.3 Millionen Menschen aus der Ukraine leben derzeit in Polen. Doch mehr als ein Jahr nach Kriegsausbruch beginnt die Willkommenskultur in Polen zu bröckeln. Der freie Journalist Jan Opielka erklärt, wie sich die sinkende Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Polen bemerkbar macht.

Jan Opielka

Publizist in Polen

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Jan Opielka arbeitet als Journalist für deutsche und polnische Printmedien sowie als Übersetzer. Er lebt im polnischen Gliwice/Gleiwitz.

SRF News: Wie zeigt sich die sinkende Solidarität gegenüber ukrainischen Geflüchteten?

Jan Opielka: Einerseits in Umfragen. Zwar sprechen sich immer noch 73 Prozent der Polen dafür aus, dass man ukrainische Flüchtlinge aufnehmen und ihnen helfen soll, aber gut 20 Prozent sind dagegen. Auch der Anteil jener, die unbedingt helfen möchten, ist stark gesunken.

Es ist keine Feindlichkeit, aber eine grössere Skepsis.

Man merkt es aber auch auf der Strasse: Wenn ich mit Menschen spreche, ist eine deutlichere Skepsis spürbar, als das noch vor einigen Monaten war. Wichtig ist jedoch: Es ist keine Feindlichkeit, aber eine grössere Skepsis.

Bei Kriegsbeginn war die Solidarität in Polen riesig. Warum nimmt sie denn jetzt ab?
Die neue Situation spiegelt sich nun konkret im Leben der Menschen wider. Als Beispiel die Mietsituation: Die Wohnungspreise sind deutlich gestiegen, sowohl die Mieten als auch die Kaufpreise von Immobilien. Das geht zu einem Teil darauf zurück, dass jetzt viele ukrainische Flüchtlinge da sind. In Polen gibt es faktisch keine Sammelunterkünfte oder Flüchtlingsheime, also mieten die Ukrainer selbst Wohnungen.

Menschen auf der Flucht.
Legende: Die anfängliche Solidaritätswelle in Polen gegenüber ukrainischen Geflüchteten ist abgeflacht. Denn langsam machen sich die Auswirkungen bemerkbar. KEYSTONE/EPA/ROMAN PILIPEY

Zudem merken die Menschen auch, dass der Staat weniger Mittel für wirklich dringende Investitionen zur Verfügung hat, etwa für die Stärkung der sozialen Infrastruktur, vor allem im Gesundheitswesen. Man sieht stattdessen, dass der Staat in Waffen investiert, für sich selbst und auch als Hilfe für die Ukraine.

Die geflüchteten Menschen machen sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. In fast keinem anderen Land haben so viele Ukrainerinnen eine Arbeitsstelle gefunden wie in Polen. Wie wirkt sich das auf den Arbeitsmarkt aus?

Etwa 60 Prozent der Geflüchteten haben eine Arbeit aufgenommen oder gar ein kleines Unternehmen gegründet. Damit zahlen sie auch in die Sozialversicherung ein. Gleichzeitig steigen so auch Kaufkraft und Umsätze von Geschäften. Das ist die positive Seite.

Polnische Arbeitnehmer haben dadurch, dass mehr Menschen Arbeit suchen, eine schwierigere Verhandlungsbasis, was Lohnerhöhungen angeht.

Auf der anderen Seite haben die polnischen Arbeitnehmer aber dadurch, dass mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt eine Arbeit suchen, eine schwierigere Verhandlungsbasis, was eventuelle Lohnerhöhungen angeht. Und die wären dringend notwendig, weil die Inflation in Polen sehr hoch ist. Sie liegt zwischen 15 und 17 Prozent.

Wenn wir das nochmals als Ganzes betrachten: Kann man konkrete Auswirkungen dieser sinkenden Solidarität beobachten?

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sagen, dass sie eine gewisse Distanziertheit in der polnischen Bevölkerung wahrnehmen. Politisch sieht man, dass die nationalistisch-libertäre Confederacia als einzige Oppositionspartei im Parlament an Zustimmung gewinnt. Sie hat eine sehr Ukraine-skeptische Haltung.

Auch ein wichtiger Aspekt: Vor einem Monat gab es grosse Proteste polnischer Bauern, die gegen die Importe ukrainischen Weizens protestiert haben, weil eben diese den polnischen Markt beeinträchtigt haben, was zu Preissenkungen geführt hatte. Auf diese Proteste hat die polnische Regierung reagiert und hat dort Hilfen zugesagt, auch mit einem neuen Sozialprogramm.

Das Gespräch führte Silvia Staub.

SRF 4 News, 17.5.2023, 6:20 Uhr ; 

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