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Solidaritätskorridore Getreide aus der Ukraine macht Bauern im Osten Geschäft kaputt

Worum geht es? Die Europäische Union möchte, dass die Ukraine ihre Landwirtschaftsprodukte trotz Krieg exportieren kann – weil das wichtig ist für den Weltmarkt und weil man der Ukraine helfen möchte im Krieg gegen Russland. Deshalb gibt es die sogenannten Solidaritätskorridore: Ukrainisches Getreide und andere Agrarprodukte können ohne Zölle und rasch in die EU exportiert werden und sollen von dort z.B. den Nahen Osten erreichen. Doch die Hilfe hat eine Nebenwirkung: Sie macht Bauern und Bäuerinnen in den östlichen EU-Ländern das Geschäft kaputt.

Warum schaden die Landwirtschaftsexporte aus der Ukraine östlichen EU-Ländern? Das Problem ist, dass viel ukrainisches Getreide eben nicht im Nahen Osten, sondern in Osteuropa landet. Nun ist es so, dass die Ukraine deutlich günstigere Landwirtschaftsprodukte hat als Osteuropa – das liegt an den Kosten für die Produktion, aber auch daran, dass osteuropäische Länder zur Europäischen Union gehören und deshalb strengere Auflagen haben, wenn es um Gifte, Kontrollen und Ähnliches geht. So kaufen die Mühlen und andere Verarbeiter in Osteuropa nun halt ukrainische Produkte, und nicht rumänische, polnische oder ungarische. Die EU-osteuropäischen Bauern verdienen viel weniger.

Welche Länder sind besonders betroffen? Rumänien, Polen und Ungarn. Betroffen sind aber auch Bulgarien, Tschechien und die Slowakei.

Wie reagieren die Bauern in den osteuropäischen Ländern? Einige, vor allem in Rumänien, resignieren und lassen Getreide auf den Feldern verrotten, weil sich die Ernte nicht lohnt. Andere, vor allem in Polen, protestieren und wollen diese Woche Grenzübergänge in die Ukraine mit Traktoren blockieren. Und viele fühlen sich nicht gehört von Westeuropa.

Getreidetransport.
Legende: Kontrolle eines Frachters mit ukrainischen Getreideexporten (22.7.2022). Keystone/EPA/Türkisches Verteidigungsministerium

Was hat Westeuropa damit zu tun? Das Problem betrifft tatsächlich Osteuropa, nicht Westeuropa. Aber der Vorwurf an Westeuropa aus Osteuropa lautet, man habe nicht auf Warnungen gehört. Tatsächlich haben Fachleute in Rumänien von Anfang an gesagt, die Korridore würden nicht funktionieren, das Getreide werde liegenbleiben in Osteuropa. Denn die Strassen in Rumänien seien zu schlecht für den Transport, die Schienen zu verrostet und der wichtigste Hafen an der Schwarzmeerküste zu wenig vorbereitet auf den Transport von ukrainischem Getreide in den Nahen Osten etc.

Gibt es Lösungsansätze? Ja, die EU hat eingesehen, dass sie wohl etwas tun muss. Am Montag haben die EU-Agrarminister über das Problem beraten. Der EU-Agrarkommissar, ein Pole, hat bereits öffentlich gesagt, dass es denkbar ist, die Landwirte im Osten mit Geld aus einem Krisenfonds zu entschädigen.

Reicht Geld? Die osteuropäischen EU-Länder wünschen sich auch, dass der Transportkorridor für ukrainische Agrarerzeugnisse besser «abgedichtet» wird, sodass diese auf dem Weltmarkt landen statt in Osteuropa. Dafür wäre aber viel neue Infrastruktur in kurzer Zeit nötig, und das ist wohl nicht realistisch.

Sind Bäuerinnen und Bauern im Osten der EU gegen die Solidarität mit der Ukraine? Nein. Sie sind solidarisch und sehen auch ein, dass die Korridore für Exporte aus der Ukraine eine gute Sache sein können – immerhin ist wohl auch dank ihnen der Weltmarktpreis für Weizen wieder gesunken. Die Landwirte wünschen sich aber, dass diese Exporte nicht zu ihren Lasten gehen.

Echo der Zeit, 30.01.2023, 18:00 Uhr

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