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Krieg in der Ukraine Schicksalsschlacht oder Symbolik? Die blutige Schlacht um Bachmut

Das Blutvergiessen geht weiter, die Russen suchen den Durchbruch: Militärexperte Niklas Masuhr über die Bedeutung von Bachmut.

Seit Monaten tobt an der Front in der Ostukraine eine blutige und verlustreiche Schlacht um Bachmut. «Wir kämpfen um jede Strasse, jedes Haus, jedes Treppenhaus» verkündete der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, am Wochenende.

Erbittert versuchen die Ukrainer, ihre Stellungen zu halten. «Niemand wird Bachmut aufgeben. Wir werden solange kämpfen, wie wir können», erklärte der Staatschef Wolodimir Selenski erst vergangenen Freitag. «Bachmut ist eine Festung».

Ältere Frau hackt Brennholz in den Strassen von Bachmut, 27. Januar
Legende: Von den vor dem Krieg in Bachmut lebenden 70’000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind laut Bürgermeister Olexij Rewa nur noch gut 8000 vor Ort. Die Industrie ist – wie die gesamte Infrastruktur – infolge der Kämpfe völlig zerstört. Getty Images/Yan Dobrosonov

Laut dem britischen Geheimdienst zieht sich die Schlinge um die Ukrainer aber weiter zu: Gemäss dem neuesten Lagebericht der Militärexperten in London kreisen russische Truppen die Stadt immer stärker ein.

Was, wenn Bachmut fällt?

Bei den Russen soll der Blutzoll gewaltig sein. Fast 200’000 russische Soldaten sind inzwischen nach US-Einschätzung in der Ukraine gefallen oder verwundet worden. Die grössten Verluste habe Moskau bei den Kämpfen im Raum Bachmut erlitten, schreibt die «New York Times».

Angriffswellen ohne Rücksicht auf Verluste

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Ukrainische Soldaten auf dem Rückweg von der Front in Bachmut (29. Januar).
Legende: Ukrainische Soldaten auf dem Rückweg von der Front in Bachmut (29. Januar). Getty Images/Marek Berezowski

Innerhalb von drei Monaten sollen sich die russischen Verluste laut der «New York Times» verdoppelt haben. Unabhängig bestätigen lassen sich die Angaben nicht, doch es wäre ein drastischer Anstieg bei den Ausfällen. Nach Einschätzungen von Militärexperten ist dies in erster Linie auf die russische Taktik bei der Schlacht um Bachmut zurückzuführen.  

Da die Artilleriemunition knapp sein soll, setze Moskau vermehrt auf die Infanterie. Ohne Rücksicht auf Verluste stürmen demnach Kämpfer der Söldnereinheit Wagner in kleinen Gruppen in mehreren Wellen die Positionen der Ukrainer.

Dabei schicke man die in Gefängnissen rekrutierten Häftlinge vor. Laut der Bürgerrechtsorganisation «Russland hinter Gittern» sind von den 50’000 angeworbenen Gefangenen nur noch 10’000 an der Front. Der Rest sei gefallen, verwundet und gefangen genommen worden oder desertiert.

Doch was kann Russland gewinnen, wenn es Bachmut einnimmt? «Sie könnten damit die nächste ukrainische Verteidigungsstellung zerschlagen und die Front weiter nach Westen verlagern», erklärt Niklas Masuhr. Er analysiert militärische Strategien am Center for Security Studies der ETH Zürich.

Kramatorsk liegt nur eine Autostunde entfernt von Bachmut und wird von der ukrainischen Armee als Rückzugsbasis genutzt. Die Grossstadt könnte das nächste Ziel des russischen Angriffs werden.

Der ETH-Experte geht davon aus, dass die Ukrainer zwischen Kramatorsk und Bachmut weitere Verteidigungsstellungen gebaut haben: «Abhängig von den Verlusten könnten nach dem Fall von Bachmut ukrainische Reserven zur Front geschickt werden, die sich noch in der Ausbildung befinden.»

Heisst: Die Ukraine müsste Truppen in den Kampf schicken, bevor sie voll für den Kampf an der Front ausgebildet sind – auch an westlichem Militärgerät wie den Panzerfahrzeugen, die an die Ukraine geliefert werden. «Das würde bedeuten, dass die Ukraine ihre späteren Gegenoffensiven abschwächen müsste, um die Situation zu stabilisieren.»

Verluste schlagen auf Kampfmoral

Die Russen beissen sich wieder an der Front fest und vermelden Erfolge. Haben der Westen und die Ukraine die russische Schlagkraft unterschätzt? «Man kann festhalten, dass die Konsolidierung der russischen Truppen Anfang Oktober durchaus gut gelaufen ist», sagt Masuhr. «Sie haben die Defensive gestärkt und sind jetzt wieder in der Lage, in die Offensive überzugehen.»

Ukrainische Luftabwehr bei Bachmut, 4. Februar.
Legende: «Der Krieg geht jetzt in eine Phase, in der die Ukraine alles braucht – von Panzern über Ersatzteile bis zu Artillerie- und Luftabwehrmunition», sagt Masuhr. Bild: Ukrainische Luftabwehr bei Bachmut, 4. Februar. Keystone/Sergej Shestak

Der ukrainische Präsident Selenski fordert unablässig die Lieferung weiterer schwerer Waffen vom Westen. Die dramatischen Appelle sind für den Militärexperten berechtigt. Denn gepanzerte Fahrzeuge und weiteres Militärgerät seien extrem wichtig für die Ukraine. «Dies nicht nur, um Gegenoffensiven zu führen, sondern auch in defensiven Szenarien wie man sie derzeit in Bachmut sieht.»

Der Militärexperte schliesst: «Jetzt geht es darum, wer in diesem Krieg mehr Schwung, mehr Momentum hat. Es geht nicht nur darum, wer welche Punkte auf der Karte hält, sondern wer wie viele Verluste erlitten hat und wie diese verteilt sind.» Denn dies beeinflusse auch wesentlich die Kampfmoral der Streitkräfte – auf beiden Seiten.

Echo der Zeit, 06.02.2023, 18 Uhr ; 

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