Am frühen Dienstagmorgen ist der grosse Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine nahe der Stadt Cherson zerstört worden. Seither überfluten Wassermassen weite Gebiete, wo Zehntausende Menschen leben. Noch gebe es wenig gesicherte Daten, sagt ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz in der Ukraine.
SRF News: Wie ist die Lage in den überfluteten Gebieten, was weiss man über die Zahl der Opfer?
Christian Wehrschütz: Wir haben bisher keinen Zugang zu den Überschwemmungsgebieten. Mein Kameramann fuhr nach Cherson und konnte dort die Evakuierung von 40 Personen mit der Bahn im dortigen Bahnhof filmen, bekam aber keinen Zugang zur Stadt.
Ukrainische Offizielle sprachen am späten Vormittag von 1900 zerstörten Häusern, die unter Wasser stehen. Bilder von Menschen, die auf Dächern sitzen und evakuiert werden, sind im Umlauf. Die Bergungen sind offenbar im Gang, angeblich sind viele ukrainische Freiwillige vor Ort. Die Flutwelle pflanzt sich auf dem Dnjepr fort. Der Bürgermeister von Nowa Kachowka meldete, das Wasser in der Stadt sei bereits am Sinken.
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Bild 1 von 18. Am frühen Morgen wird die Zerstörung des Kachowka-Staudamms gemeldet. (6. Juni 2023). Bildquelle: IMAGO/Ukrhydroenergo.
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Bild 2 von 18. Satellitenaufnahme nach dem Dammbruch: Wasser aus dem Stausee fliesst unkontrolliert ab. (6.6.2023). Bildquelle: Keystone/AP/Planet Labs.
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Bild 3 von 18. Die Überschwemmung schränkt die Trinkwasserversorgung von mehreren Hunderttausend Menschen ein. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/EPA/MYKOLA TYMCHENKO.
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Bild 4 von 18. Teile von Cherson stehen ganz unter Wasser. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/EPA/MYKOLA TYMCHENKO.
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Bild 5 von 18. Bis am Mittwochnachmittag werden rund 2000 Menschen aus den von den Ukraine kontrollierten Gebiete evakuiert. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Alina Smutko.
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Bild 6 von 18. Rettungskräfte und Helfer evakuieren Menschen aus der überfluteten Stadt Cherson. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Roman Hrytsyna.
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Bild 7 von 18. Die Strassen der Gebietshauptstadt Cherson sind überflutet. Helfer fahren mit einem Schlauchboot die Häuser ab. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Vladyslav Musiienko.
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Bild 8 von 18. Ein Bewohner von Cherson hilft bei der Evakuation mit. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Ivan Antypenko.
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Bild 9 von 18. Auch einen Tag nach dem Bruch ist die Flut in Cherson noch nicht abgeklungen. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Roman Hrytsyna.
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Bild 10 von 18. Der Seehafen in Cherson. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Ivan Antypenko.
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Bild 11 von 18. Nach ukrainischen Angaben befinden sich rund 80 Siedlungen im Überschwemmungsgebiet. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Libkos.
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Bild 12 von 18. Mit der Flut verbreiten sich ansteckende Krankheiten und giftige Stoffe. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Ivan Antypenko.
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Bild 13 von 18. Der Kulturpalast in Nowa Kachowka. Der Ort liegt nahe des zerstörten Staudamms. (7. Juni 2023). Bildquelle: Imago/Alexei Konovalov/TASS/Sipa.
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Bild 14 von 18. Ein Einwohner von Nowa Kachowka schaut sich sein Haus an. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Alexander Ermochenko.
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Bild 15 von 18. Auf der ukrainisch kontrollierten Uferseite wird mit der Überschwemmung von 10'000 Hektar Nutzfläche gerechnet. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Vladyslav Musiienko.
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Bild 16 von 18. Die Evakuation von Cherson beginnt am 6. Juni 2023, nachdem der Kachowka-Staudamm gebrochen war. Bildquelle: IMAGO/Kyodo News.
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Bild 17 von 18. Menschen in Cherson bringen ihr Hab und Gut in Sicherheit. (6. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Alina Smutko.
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Bild 18 von 18. Ein Strand bei Saporischja: Der Wasserpegel des Stausee sinkt im Verlauf des Tages deutlich ab. (6. Juni 2023). Bildquelle: IMAGO/Albert Koshelev.
Ist die Trinkwasserversorgung von Cherson gefährdet?
Es ist nicht nur die Trinkwasserversorgung im Landkreis von Cherson gefährdet. Auch in der Stadt Mykolajiw soll es bereits Rationierungen von Trinkwasser geben. Die Supermarktketten wurden aufgerufen, mehr abgefülltes Wasser zur Verfügung zu stellen.
Man geht davon aus, dass die Wellenbewegungen bis zu vier Tage nach dem Bruch des Dammes andauern. Dann beginnt das Wasser zu sinken. Nach zehn Tagen erwarten Experten wieder den ursprünglichen Wasserstand. Erst dann wird man die eigentlichen Auswirkungen sehen. Es gibt bisher auch keine seriösen Zahlen zu Vermissten und Todesopfern. Geschätzt wird, dass 18‘000 bis 22‘000 Menschen in den Dörfern der Überschwemmungsgebiete gelebt haben.
Wie funktionieren die Evakuierungen logistisch? Sind im Krieg Rettungskräfte verfügbar?
Ja, es gibt eigene Rettungsabteilungen. Dazu stellt man zivile Autobusse zur Verfügung. Die Überschwemmungsgebiete werden mit Motorbooten abgefahren, um die Leute aus den Häusern zu holen. Der Krieg erschwert alles zusätzlich. Und es ist eine zusätzliche Tragödie für die Bevölkerung, weil auch Cherson wieder beschossen wurde. Die Überschwemmungen haben auf jeden Fall keine Auswirkungen darauf, dass der Krieg nicht an anderen Frontabschnitten weitergehen würde.
Wohin werden die Menschen gebracht?
Nach Norden. Viele haben Verwandte. Dazu gibt es von den grossen Fluchtwellen immer noch Auffanglager und Notunterkünfte, die bezogen werden können. Doch auch dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen, wie viele Personen das sind.
Weiss man schon etwas über die Folgen für die Umwelt?
Da zeichnet sich offensichtlich ein grosses Problem für die Landwirtschaft ab. Laut dem ukrainischen Landwirtschaftsministerium sind 94 Prozent des Bewässerungssystems in der Region Cherson praktisch zerstört. Grosse Trockenheit könnte die Folge sein. Katastrophal ist es auch für den Fischbestand. Nicht zuletzt könnte die Fauna des Schwarzen Meeres durch die Fluten leiden.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.